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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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beabsichtigte einfach, einen riesenhaften gordischen Knoten durchzuschlagen. Und er hätte beinahe Erfolg gehabt. Beinahe ...«
    »Wie hast du ihn davon abgehalten? Wie ist das alles passiert?«
    »Er hatte einen schwachen Punkt, das war's«, sagte er.
    »Weißt du, dass es in der Religion der alten Perser eine Legende gibt, die besagt, dass das Böse nicht durch eine Sünde in die Welt kam oder durch Gott, sondern durch einen Fehler?
    Einen rituellen Irrtum?«
    »Ich habe schon mal davon gehört. Du sprichst auf ganz alte Mythen an, im Zusammenhang mit den Lehren des Zarathu-stra.«
    »Ja, Mythen, die die Meder an die Perser weitergaben und die wiederum an die Juden. Es war gar nicht Ungehorsam gegen die Gebote. Es war der Mangel an Urteilskraft. Klingt es in der Schöpfungsgeschichte nicht so ähnlich? Eva zieht einen falschen Schluss, ein rituelles Gebot wird gebrochen. Das ist doch etwas anderes als eine richtige Sünde, meinst du nicht?«
    »Ich weiß nicht. Ich wäre glücklicher, wenn ich es wüsste.«
    Asrael lachte. »Ein Fehler in Gregorys Urteilskraft führte zu seinem Untergang«, sagte er.
    »Wieso?«
    »Er zählte darauf, dass meine Eitelkeit genauso groß wie seine wäre. Vielleicht verschätzte er sich auch nur, was meine Macht und meinen Willen, mich einzumischen, betraf ... Nein, er dachte, ich wäre einfach hingerissen von seinen Ideen; er hielt sie für unwiderstehlich. Er beurteilte mich einfach falsch, das war der Fehler. Wenn er mir nicht alles Mögliche erzählt hätte, genau zum passenden Zeitpunkt wirklich entscheidende Dinge erwähnt hätte, hätte selbst ich seine Pläne nicht aufhalten können. Aber er musste ja reden, musste vor mir angeben, um als Genie akzeptiert zu werden, geliebt zu werden ... selbst von mir geliebt zu werden, glaube ich.«
    »Wusste er, was du bist? Dass du der Hüter der Gebeine bist?
    Ein Geist?«
    »O ja, bei unserer Zusammenkunft stand meine Glaubwürdigkeit nicht in Frage, wie ihr heute sagen würdet. Aber dazu komme ich noch.«
    Er lehnte sich zurück. Ich kontrollierte die Recorder, wechselte die Kassetten und beschriftete ihre Schildchen, damit ich nichts durcheinander brachte. Dann stellte ich beide Apparate wieder auf den Rand der Feuerstelle. Er beobachtete mich mit Interesse und Sympathie. Er zögerte fortzufahren, fand es vielleicht schwierig, obwohl er es sich wünschte.
    »Hielt Kyros von Persien dir gegenüber sein Wort?«, fragte ich. Die Frage hatte mich nicht mehr losgelassen, seitdem er seine Erzählung unterbrochen hatte. »Hat er dich wirklich nach Milet geschickt? Es ist schwer zu glauben, dass Kyros von Persien sein Wort hielt.«
    »Wieso nicht?« Er sah mich lächelnd an. »Aber du weißt doch, dass er sein Wort hielt, was Israel betraf. Die Juden durften Babylon verlassen, und sie gingen heim und ließen das Königreich Judäa wieder auferstehen, und sie bauten Salomons Tempel wieder auf. Du kennst die Geschichtsschreibung: Kyros hielt seine Versprechen den eroberten Völkern gegenüber, speziell die den Juden gegebenen. Vergiss nicht, Kyros' religiöse Anschauungen waren gar nicht so sehr verschieden von den unseren. Im Grunde waren es beide ... von Ethik bestimmte Religionen, siehst du das nicht auch so?«
    »Ja, natürlich weiß ich, dass Jerusalem unter der persischen Herrschaft einen großen Aufschwung erlebte.«
    »Oh, gewiss, über mehrere Jahrhunderte hinweg, bis die Rö-
    mer kamen, genau genommen, und Aufstände ausbrachen; bis es zur endgültigen Niederlage bei Masada kam. Wir reden über diese Dinge, damit wir nicht vergessen. Damals konnte ich zwar nicht wissen, was noch kommen würde, doch selbst ich wusste, dass Kyros sein Wort halten und mich nach Milet schicken würde. Ich habe ihm immer getraut, vom ersten Augenblick an. Er war kein Lügner. Na ja, zumindest kein so gro-

    ßer Lügner wie viele andere.«
    »Aber da er doch weise Männer in seinem Gefolge hatte«, sagte ich, «wieso ließ er sich dann etwas, das solche Macht...
    ich meine jemanden wie dich, der eine derartige Macht hatte
    ... einfach durch die Finger schlüpfen?«
    »Er war ganz wild darauf, mich loszuwerden!«, antwortete Asrael. »Und offen gesagt, seine Weisen ebenfalls! Er ließ mich nicht etwa durch seine Finger schlüpfen, sondern indem er mich zu Zurvan schickte, entledigte er sich meiner. Und er kannte keinen mächtigeren Magier und Gelehrten als Zurvan, der ihm noch dazu treu ergeben war. Er war reich, lebte in Milet, das genau wie Babylon ohne

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