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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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soll
    dies, dem Werk, sich zeigen,
    und tropfen soll
    sein Wissen, klebriger Saft von dem verletzten Stamm.
    Lass es sich stehlen zu der Moleküle wahlloser Verschmelzung, und passe seine Mündung
    der Mündung seines tiefsten Kernes an, zerre an seinem Schaft,
    um seinen Fötus bloßzulegen. Und gib
    ihm Kinder mit geschmeidig-scharfen Kiefern, Hunde sollen wimmern, wenn sie ihm begegnen.
    Lass es heraus aus seinem Glas,
    und Beischlaf mag's mit unserm Leichnam, unserm Chaos pflegen.
    Mach es hungrig, böse, und des Todes Feind.
    Bring's auf Papier. Lies es. Scharfe Chirurgenklingen seien seine Seufzer, derart bewehrt mit Stacheln, dass der Skorpion es nennt: Jehova & Wer noch.
    Tu's jetzt, bevor du feig zurückschreckst.
    Entwirf's, befruchte und liebkose es.
    Mach's tauglich und dem Zweck angepasst, ein Verswerk, größer, als Verse fortbestehen.

    Stan Rice, Some Lamb 1975

    9

    »Nun will ich also von diesen beiden Gebietern erzählen, und davon, was sie mich lehrten. Und lass dir gleich sagen, dass ich mich bei diesem Teil meiner Geschichte kurz fassen werde. Ich bin nämlich begierig, zur Gegenwart zu kommen. Aber andererseits möchte ich, dass du auch das erfährst und es niederschreibst - wenn du so freundlich sein willst. Also ...
    Zurvan kündigte sich auf eine ziemlich dramatische Weise bei mir an. Ich hatte ja schon erzählt, dass ich mich in die Gebeine zurückgezogen hatte. Ich lag in dunklem, tiefstem Schlaf. In mir war eine Art Bewusstheit - so ist es immer -, aber ich kann das nicht in Worten ausdrücken, dieses Gefühl. Vielleicht könnte man sagen, ich bin in diesem Schlaf wie eine Tontafel, auf der sich Geschichte schreibt wie von selbst. Aber dieses Bild ist plump, zu eindeutig.
    Ich schlief; Furcht und Schmerz waren mir fern, auch fühlte ich mich keineswegs gefangen. Ich wusste nicht, was oder wo ich war. Und dann rief Zurvan mich:
    ›Asrael, Hüter der Gebeine, komm her zu mir, unsichtbar be-seelt, so fliege herbei, nutze deine Kraft.‹ Ich fühlte mich hin-aufgesaugt ins Licht. Ich flog der Stimme entgegen, die mich gerufen hatte, und wie schon zuvor in Babylon sah ich Geister in den Lüften, Geister in allen Himmelsrichtungen, Geister, zwischen denen ich mich entschlossen vorwärts bewegte, wobei ich versuchte, keinem ein Leid anzutun. Ihre Schreie und der Ausdruck der Verzweiflung in ihren Mienen bestürzten mich zutiefst.
    Einige dieser Geister griffen sogar nach mir, in dem Versuch, mich aufzuhalten. Doch ich hatte meinen Befehl und schüttelte sie ab, mit so erstaunlicher Kraft, dass ich darüber in Gelächter ausbrach.
    Zur Mittagszeit erblickte ich die Stadt Milet unter mir; die An-zahl der Geister nahm zusehends ab, als ich mich dem Erd-boden näherte, aber unter Umständen bewegte ich mich auch nur mit einer Geschwindigkeit, die mir nicht mehr erlaubte, sie noch wahrzunehmen. Milet, auf einer Halbinsel gelegen, war die erste ionische oder griechische Stadt, die ich je sah.
    Sie war wunderschön, weitläufig, mit herrlichen, offenen Plätzen und Kolonnaden, und zeigte selbst zu dieser Zeit schon die ganze Vollkommenheit griechischer Kunst. Die agora, die Paläste, die Tempel, das Amphitheater ... alle Gebäude schienen mir wie eine offene Hand, die sich der sommerlichen Brise darbietet.
    An drei Seiten war die Stadt vom Meer umgeben, auf dem sich griechische und phönizische und ägyptische Handelsschiffe tummelten, und der Hafen wimmelte von Händlern und von langen Reihen aneinander geketteter Sklaven.
    Je tiefer ich sank, desto deutlicher empfand ich die Schönheit des Ganzen, eine Schönheit, die mir aus Babylon nicht ganz unbekannt war; doch diese Stadt, die von weißem Marmor nur so glänzte, bot mir ein ganz besonderes Schauspiel. Dies war eine Stadt, die sich nicht vor den Wüstenwinden abschotten musste, in der die Menschen ihren Geschäften im Freien nachgingen, sich trafen und plauderten. Hier war die Hitze nicht unerträglich, und es gab nicht den in Babylon stetig fliegenden Wüstensand.
    Ich landete unmittelbar m Zurvans Haus, wo ich ihn an seinem Tisch sitzend fand, einen Brief in der Hand.
    Zurvan war persischer Abstammung, vielleicht sollte ich sagen, Meder; er war schwarzhaarig, und obwohl sein Haar und sein Bart auch schon stark von Grau durchzogen waren, so war er doch nicht allzu alt. Mit seinen großen blauen Augen schaute er mich an und erfasste auf der Stelle meine unsichtbare Gestalt. Und dann sagte er:
    ›Ah, umgib dich mit einer sterblichen Hülle; du

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