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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Kampf an Kyros und die Perser gefallen war. Später dann erhoben sich die Griechen jener ionischen Städte natürlich gegen Persien. Doch zu jener Zeit, als ich dort dem großen König gegenüberstand und ihn bat, mich zu einem mächtigen Magier zu schicken, war Milet noch eine blühende griechische Stadt unter persischer Herrschaft.«
    Asrael schaute mich eindringlich an. Ich öffnete den Mund zu einer weiteren Frage, doch er unterbrach mich.
    »Du warst draußen in der Kälte, das war nicht gut. Jetzt ist dir heiß, dein Fieber ist wieder ein wenig gestiegen. Du musst etwas Kaltes trinken. Ich hole es dir. Wir machen weiter, wenn du getrunken hast.«
    Er erhob sich aus seinem Sessel und holte eine Flasche, die bei der Tür gestanden hatte. Sie war eiskalt, das war unüber-sehbar, und ich hatte wirklich Durst.
    Ich sah, dass er das Wasser in einen silbernen Becher goss.
    Kein antiker Becher; er sah ziemlich neu aus, wie maschinell hergestellt, aber sehr schön, und natürlich beschlug er durch das kalte Wasser. Er wirkte ein bisschen wie der Gral oder eher wie ein Kelch, wie das Trinkgefäß eines Babyloniers.
    Oder vielleicht Salomons.
    Vor dem Sessel stand ein zweiter gleicher Becher.
    »Wie hast du diese Becher gemacht?«, fragte ich.
    »So wie ich meine Kleider gemacht habe. Ich befehle all die winzigen Teilchen her, die dazu nötig sind. Nur ist Design nicht gerade meine Stärke. Wenn mein Vater diese Becher entworfen hätte, wären sie überwältigend. Ich habe den Teilchen einfach befohlen, sich zu einem verzierten Becher in zeitge-mäßem Stil zusammenzufügen ... Eigentlich braucht es eine ganze Menge mehr Worte dazu, und noch viel mehr Energie, aber das ist in etwa das Prinzip.«
    Ich nickte, dankbar für die Erklärung.
    Ich trank den Becher leer. Er füllte ihn noch einmal, und ich trank auch das.
    Der Becher war wirklich massiv. Sterlingsilber. Ich betrachtete ihn von allen Seiten, er hatte einen schlichten kurzen Fuß, und rund um den Rand war in Anspielung auf die Dionysien ein Muster aus Weintrauben und Reben eingraviert. Er war wirklich sehr schön. Während ich ihn liebevoll mit beiden Händen umfasst hielt und die klare Form und die tief eingeprägten Ranken bewunderte, entsprang ihm plötzlich ein leiser Klang, und die Luft vor meinem Gesicht flimmerte ein wenig. Vor meinen Augen entstand eine weitere Gravur auf dem Becher -
    mein Name. In hebräischen Schriftzeichen stand dort Jonathan Ben Isaak. Die Buchstaben, klein und vollkommen, zogen sich um den gesamten Becher.
    Ich schaute Asrael an. Er lag zurückgelehnt in seinem Sessel, die Augen geschlossen. Tief sog er den Atem ein.
    »Erinnerung ist alles«, murmelte er leise, kaum hörbar.
    »Meinst du nicht auch, dass wir mit dem Gedanken leben können, dass Gott nicht vollkommen ist, solange wir uns nur sicher sind, dass Gott sich erinnert... sich an alles erinnert...«
    »Alles weiß, das meinst du wohl. Wir möchten doch, dass er unsere Missetaten vergisst.«
    »Ja, wahrscheinlich.«
    Nun goß er sich selbst etwas Wasser ein und trank, aus dem zweiten Becher, der zwar keinen Namen trug, aber sonst dem meinen glich. Er gönnte sich eine weitere Pause, seine Gedanken schweiften ab, seine Brust hob und senkte sich, er starrte ins Feuer.
    Ich fragte mich, wie es sein musste, mit Menschen wie ihm umgeben zu sein, mit ihnen zu leben.
    War so Esagila gewesen? Wimmelnd von bärtigen, mit kostbaren, goldverbrämten Gewändern bekleideten Männern, die Zielstrebigkeit und Entschlusskraft ausstrahlten.
    »Weißt du«, fragte er mich lächelnd, »dass die alten Perser glaubten, dass während des letzten Jahrtausends ... vor der endgültigen Erweckung aller Toten ... dass dann die Menschen nach und nach aufhören würden, Fleisch und Milch zu sich zu nehmen, und sogar keine Pflanzen mehr essen würden, sondern dass sie sich nur noch von Wasser ernähren würden? Von klarem Wasser.«
    »Und dann käme die Auferstehung?«
    »Ja, die Welt der Gebeine würde auferstehen ... das Tal der Gebeine erstünde zu neuem Leben.« Er lächelte. »Deswegen denke ich manchmal, wenn ich mich ein wenig trösten möchte, dass Dinge wie ich, Engel, Dämonen der Macht... dass wir nur eine letzte Stufe des Menschseins sind ... diese letzte Stufe, in der die Menschen nur von Wasser existieren können. Also ...
    sind wir nicht gottlos. Wir sind einfach nur sehr weit fortgeschritten.«
    Jetzt lächelte ich. »Einige Leute glauben ja auch, dass unser irdischer Körper nur eine

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