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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Aber können das nicht alle Menschen?‹
    ›Das genügt für heute. Ich habe erfahren, was ich wissen wollte.‹
    ›Und was war das?‹
    ›Deine Antworten zeigen, dass du die Lebenden nicht benei-dest.‹
    ›Meine Güte, warum sollte ich? Ich bin den ganzen Tag um-hergestreift und fühle nicht die geringste Müdigkeit, nur ein wenig Durst. Niemand kann mir etwas antun. Warum sollte ich die Leute beneiden, die noch lebendig sind? Wenn sie nichts Besseres erwarten können, als im Jenseits herumstolpernde Geister oder Dämonen zu werden, tun sie mir eher Leid. Ich wünschte ihnen allen, sie könnten wieder geboren werden, wie es mir geschehen ist; andererseits weiß ich natürlich, dass ich nur wahrnehmen kann, was von - wie hast du es ausgedrückt? -, was von dieser Welt ist. Außerdem ...‹
    ›Ja ...‹
    ›Ich kann mich ja nicht daran erinnern, je gelebt zu haben. Ich weiß, du sagtest, dass es so war, oder hatte ich das gesagt?
    Oder wir waren uns beide darüber einig? Auf jeden Fall sprachen wir über diese verfluchte Tontafel und über Pfuscharbeit, aber ich habe einfach keine Vorstellung davon, dass ich jemals ein lebender Mensch war. Ich kann mich weder an Schmerz erinnern, noch an einen Sturz, noch an Verbrennen oder Blut. Ach übrigens, du hattest Recht, ich brauche keine inneren Organe. Und wenn ich mir eine Schnittwunde zufüge, kann ich es bluten lassen oder auch nicht.‹
    ›Dir ist doch klar, dass viele der Toten, die du sahst, die Lebenden hassen?‹, fragte er. ›Sie hassen sie!‹
    ›Warum?‹
    ›Weil sie kraftlos und schattenhaft dahinvegetieren und sich nach für sie unerreichbaren Dingen sehnen. Sichtbar machen können sie sich nicht, Gegenstände in Bewegung versetzen können sie auch nicht; gerade mal, dass sie wie unsichtbare Bienen durch die Welt schwirren!‹
    ›Was geschähe denn‹, fragte ich, ›wenn ich unsichtbar würde, wenn ich mich den glückseligeren Wesen anschlösse, die so emsig sind und einen so hohen Rang einnehmen? Wenn ich mit denen gemeinsam in höhere Regionen aufstiege?‹
    ›Tu es, und kehre anschließend zu mir zurück, es sei denn, du findest das Paradies.‹
    ›Denkst du, das wäre mir möglich?‹
    ›Nein, aber natürlich würde ich dir weder das Himmelreich noch das Paradies verwehren. Das könntest du doch auch nicht, oder?‹
    Seinem Vorschlag entsprechend, warf ich auf der Stelle die Bürde meines Körpers zusammen mit meinen Kleidern ab, wobei ich befahl, dass beides mir weiterhin bei Bedarf zur Verfügung stände.
    So trat ich in den Hof hinaus, sah mich nach den Geistern um, die sich auch gleich um mich versammelten, und nun, da ich meine Augen auf sie geheftet hatte, gebärdeten sich die Dä-
    monen unter ihnen wie toll, und ich hatte manchen Kampf auszufechten. Die Seelen der Toten wimmelten um mich herum und hielten mich wieder und wieder mit belanglosen Fragen auf, Fragen, die sich auf diejenigen bezogen, die sie in der Welt der Lebenden zurückgelassen hatten. Und diese Seelen gab es sowohl auf den unteren Ebenen als auch auf den höheren, nur dass sie dort eindeutig lichter, aber auch stärker geworden waren, zumindest waren sie besser dran als die blindlings umherschlurfenden, verängstigten Toten, die die Erde heimsuchten.
    Schließlich erreichte ich die Ebene der frohlockenden Wesen.
    Sofort wandten sie sich mir mit erstaunten Gesichtern zu, und mit behutsamen Gesten befahlen sie mir, mich wieder tiefer hinab zurückzuziehen. In Sekundenschnelle hatten sie mich eingekreist; einige von ihnen hatten nur eine schwach wahr-nehmbare, doch glitzernde Gestalt, einige hatten sogar Flügel, einige trugen lange weiße Gewänder, doch sie alle, ohne Aus-nahme, deuteten befehlend in Richtung der tieferen Regionen, gestikulierten und schoben mich fort, als sei ich ein Kind, das unversehens in ein Heiligtum einbricht. Sie zeigten weder Groll noch Verachtung, sie wiesen einfach nur nach unten und sagten, ich müsse fortgehen.
    ›Nein, ich will nicht fort‹, sagte ich, doch als ich mich höher hinaufwagen wollte, sah ich, dass der Weg vollkommen von ihren Körpern versperrt war, und für einen Augenblick schien es mir, als sähe ich weit hinter der kompakten Masse, die sie bildeten, ein helles Licht, das meine Augen verbrannte, und dann stürzte ich schwer wie Blei hinab und landete mit einem heftigen Aufprall wieder auf der Erde.
    Ich lag im Finstern, und Dämonen drängten sich an mich heran, zerrten an meinen Haaren und an meinem Astralkörper, sodass

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