Engel der Verdammten
ich mich auflösen musste und sie dann abwehrte, indem ich einfach fortschlüpfte, mir erst einen rechten, dann einen linken Arm schuf und sie damit zur Seite fegte, wobei ich ihnen Schimpfworte in ihrer eigenen Sprache entgegen-schleuderte, bis sie endlich flohen.
Ich versuchte, mich zu orientieren. War ich unterhalb der realen Welt? Ich wusste es nicht. Ich war in ein aschgraues Dämmerlicht gefallen, eine trübe Düsternis, durch die ich nichts Materielles wahrnehmen konnte. Zögernde Geister ver-weilten in meiner Nähe, andere flohen vor mir, sie alle aber waren Teil der undurchdringlichen, schmutzig trüben Dämmerung.
Dann schritt aus dem Nebel ein mächtiger Geist auf mich zu, gleich mir in der Gestalt eines Menschen; er hatte ein hinterhältiges Lächeln aufgesetzt, sodass ich sofort Gefahr witterte.
Mit beiden Händen ging er auf mich los und umklammerte meinen Hals, während mich die anderen Dämonen erneut ein-schlossen. Mit rasender Wut bekämpfte ich ihn, verfluchte ihn, schleuderte ihm entgegen, dass er machtlos sei, und ließ Beschwörungen auf ihn niedergehen, die ihn verscheuchen sollten; schließlich würgte und schüttelte ich ihn, bis er um Gnade winselte. Er gab seine menschliche Gestalt auf und entfloh, verwandelt in eine schleierartige Wolke. Auch die übrigen Dä-
monen verzogen sich.
›Ich muss sehen, dass ich zurück zu meinem Gebieter komme‹, sagte ich, schloss die Augen und rief ihn, rief auch nach den wartenden Teilchen meines Körpers und den gleichfalls zurückgelassenen Kleidern. Im nächsten Moment fand ich mich wach und munter in dem griechischen Sessel im Studierzimmer meines Gebieters wieder. Er saß an seinem Tisch; einen Fuß auf einen Schemel gestützt, trommelte er abwartend mit den Fingern und beobachtete mich.
›Hast du gesehen, wo ich war und was geschah?‹, fragte ich.
›Einiges schon. Ich sah dich aufsteigen, doch die Geister der oberen Sphäre hielten dich zurück und ließen dich nicht höher hinauf.‹
›Nein, sie erlaubten es nicht, doch sie waren freundlich. Hast du das Licht gesehen, das über ihnen leuchtete?‹
›Nein, das nicht‹, sagte er.
›Es muss das Licht des Himmels gewesen sein‹, murmelte ich,
›und von dort scheint eine Leiter, scheinen Stufen hinabzuführen, hinab zur Erde, doch warum nicht für alle, die gestorben sind, warum nicht auch für die, deren Geist verwirrt oder voller Zorn ist?‹
›Das weiß keiner. Verlange von mir keine Antwort. Das musst du dir selbst ausrechnen. Aber wieso bist du so sicher, dass die Leiter, die Stufen, für jedermann bestimmt sind? Ist es wegen der Verheißung, die sich in den Zikkuraten zeigt, in den Pyramiden? In der Legende vom Berg Meru?‹
Ich dachte lange nach, ehe ich antwortete. ›Nein‹, sagte ich schließlich. ›Obwohl das schon eine Art Beweis ist, nein, weniger ein Beweis als eine Art Hinweis. Ich las es aus den Gesichtern der erhabenen Geister ... als sie mich anwiesen, wieder hinabzusteigen. Es war nichts Gemeines in ihnen, nichts Böses, kein Groll. Sie brüllten nicht wie die Torhüter eines Palastes; sie machten es mir nur einfach unmöglich, an ihnen vorbeizukommen, immer und immer wieder bedeuteten sie mir mit Gesten, wohin ich gehen sollte, nämlich zurück nach unten ... zur Erde.‹
Zurvan überlegte schweigend. Ich war jedoch zu erregt, um still zu sein.
›Hast du auch diesen besonders starken Geist gesehen, der mich angriff?‹, fragte ich. ›Den, der auf mich losging, als habe er meine Größe und mein Gewicht? Er lächelte, dann stürzte er sich auf mich.‹
›Nein, was geschah denn?‹
›Ich würgte und schüttelte ihn, und nachdem ich ihn überwältigt hatte, schleuderte ich ihn von mir.‹
Mein Meister lachte: ›Armer, dummer Geist.‹
›Sprichst du von mir?‹
›Nein, ich spreche sarkastisch von ihm.‹
›Aber warum nur redete dieser Geist nicht mit mir? Warum fragte er mich nicht, wer ich bin? Warum hieß er mich nicht willkommen als ein Wesen mit gleichartigen Fähigkeiten, du weißt schon, warum begegnete er mir nicht anders als kampfbereit?‹
›Asrael, die meisten Geisterwesen wissen nicht, was und warum sie etwas tun‹, erklärte er mir. ›Sie wissen es umso weniger, je länger sie dahintreiben. Hass ist das Übliche bei ihnen.
Der wollte einfach wissen, ob er stärker ist als du. Wenn er dich besiegt hätte, hätte er vielleicht versucht, dich seinen anderen unsichtbaren Genossen als Sklave zuzugesellen, doch das ist ihm nicht
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