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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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speziellen Worte. Du kannst aus dem Vorlesen einer Getreideliste einen Zauberspruch machen, wenn du sie nur auf die richtige Art und Weise vorträgst, weißt du? Aber ich werde es dich lehren, und du wirst mir gut zuhö-
    ren, und wenn ich sterbe ...‹
    ›Ja...‹
    ›Wir werden sehen, was dich die weite Welt bis dahin gelehrt hat ...‹
    ›Erwarte nicht zu viel von mir‹, sagte ich. Ich schaute Zurvan direkt ins Gesicht, was ich bisher kaum einmal gemacht hatte.
    ›Du willst wissen, an was ich mich erinnern kann. Ich erinnere mich, dass ich die Beduinen getötet habe und es sehr genoss.
    Nicht so sehr, wie ich Blumenpflücken genieße, aber Töten ...
    was auf Erden kommt dem gleich?‹
    ›Da ist etwas dran‹, antwortete er. ›Du musst eben lernen, dass Liebe besser ist ... dass freundlich, gütig zu sein noch besser ist. Wenn du tötest, zerschmetterst du ein ganzes Uni-versum, das den Glauben, die Gefühle, ja ganze Generationen der Person einschließt, die du tötest. Doch wenn du jemandem Güte erweist, ist es, als würfest du einen Kiesel in einen großen Ozean, und die Kreise, die er erzeugt, werden weiter und weiter, und kein Ring, von hier bis nach Ägypten, gleicht dem anderen. Güte hat tatsächlich erstaunlich mehr Macht als Töten. Das wirst auch du noch einsehen. Du hast es gewusst, als du noch lebendig warst.‹
    Er dachte einen Moment nach, und dann schloss er seine Ratschläge für diesen Tag ab.
    ›Siehst du, es geht darum, wie gut du diese Dinge beurteilen kannst. In dem Augenblick, in dem du einen Menschen nieder-machst, kannst du noch nicht die ganzen Auswirkungen deines Tuns erkennen. Du spürst nur das Blut in dir rauschen, denn selbst als Geist fühlst du ähnlich wie ein Mensch. Wenn du aber etwas Gutes tust, kannst du es dir immer wieder vor Augen führen ... wieder und wieder und wieder, und das wird schließlich stärker sein als der Wunsch zu töten. Das Gute leuchtet so hell, man kann es einfach nicht verleugnen. Als du durch die Stadt wandertest, sahst du es in den Augen der Menschen, nicht wahr? Güte. Niemand versuchte dir etwas anzutun. Nicht einmal die Palastwachen. Sie ließen dich vorbei. Lag es an deinen Kleidern und deiner Haltung? Oder hast du ihnen zugelächelt? Spiegelte sich in deinem Gesicht deine Güte? Jedes Mal, wenn du zu mir zurückkamst, warst du glücklich, und du - dieses Geisterwesen, das du nun bist - bist extrem fähig zu lieben.‹
    Ich sagte nichts darauf.
    ›Was geht in deinem Kopf vor?‹, fragte Zurvan. ›Sag's mir.‹
    ›Diese Beduinen‹, antwortete ich ihm, ›es war eine solche Wonne, sie zu töten.‹
    ›Du bist dickköpfig‹, warf er mir vor.
    Er schloss die Augen und schlief ein. Ich betrachtete ihn und schlummerte langsam ebenfalls ein, schlief in meinem Körper, lauschte auf die Blüten neben mir, hob hin und wieder den Blick zu den Zweigen des Olivenbaums, m dem die Vögel zwitscherten, und die entfernten Klänge der Stadt verwoben sich für mich zu einer Melodie. Und als ich träumte, träumte ich von den Gärten, von Licht und Obstbäumen und frohlok-kenden Geistern, deren Mienen nichts als Liebe widerspiegel-ten.
    Worte fädelten sich in meine Träume.
    ›Und ich will dir geben die Schätze der Dunkelheit und verborgene Reichtümer geheimer Orte, auf dass du wissest, dass ich, der Herr, der dich bei deinem Namen ruft, bin, der Gott Israels ... ich schaffe das Licht, ich schaffe die Finsternis. Ich schenke Frieden, und ich schaffe das Böse ...‹ Ich schlug die Augen auf, doch dann erinnerte ich mich schönerer Verse und sank zurück in einen von Melodien durchwebten Halbschlaf, in dem Weidenbäume sacht im Winde schwankten.«

    13

    »Fünfzehn Jahre lang reiste ich mit Zurvan. Währenddessen richtete ich mich in allen Angelegenheiten nach seinen Wünschen. Ich erwähnte schon, dass er reich war, und häufig wollte er nicht anders reisen als jeder normale Mensch auch, dann nahmen wir ein Schiff, um nach Ägypten und wieder zurück nach Athen zu gelangen oder zu anderen Städten, die er aus seiner Jugendzeit kannte und von denen er geglaubt hatte, dass er sie niemals wieder sehen würde.
    Fast nie ließ er verlauten, dass er ein Magier war, obwohl ihn hin und wieder jemand, der das zweite Gesicht hatte, als solchen erkannte. Und wenn man ihn um die Heilung eines Kranken bat, tat er, was in seiner Macht stand. Wohin wir auch fuhren, überall kaufte er Tontafeln und Schriftrollen, die etwas mit Magie auf sich hatten, oder ich musste

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