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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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dann befahl ich mich in sie hinein. Tiefste Schwärze schluckte mich.
    Lange Zeit später wachte ich auf, an Zurvan selbst klang nur eine schwache Erinnerung in mir nach, alle seine Lehren hatte ich jedoch im Kopf. Inzwischen war ein anderes Jahrhundert angebrochen, seine Lehren aber habe ich wohl nie vergessen.
    Und ich denke, dass ich diese Lehren beherzigte und ihre Pervertierung verabscheute, ist wahrscheinlich der Schlüssel dazu, dass ich letztendlich rebellierte.
    Aber wie auch immer, in Athen wurde ich aufs Neue beschworen und hervorgerufen. Die Soldaten Philipps II. von Makedo-nien waren über Athen hergefallen, hatten die Griechen geschlagen, und Philipp, den sie den ›Barbaren‹ nannten, plünderte die Stadt, dabei kamen die Knochen ans Tageslicht.
    Ich erschien in dem Zelt eines makedonischen Magiers, und er war ebenso erstaunt, mich zu sehen, wie mich sein Anblick verblüffte.

    An ihn kann ich mich kaum erinnern. Viel besser erinnere ich mich an die pulsierende, lebendige Welt, daran, wie verlok-kend es war, wieder einen festen Körper zu haben, Wasser zu schmecken, und an den Wunsch, wieder ein lebendes, atmendes Wesen zu sein, wenn auch nur als eine Imitation des Lebens. Ich wusste auch noch, welch übermächtige Fähigkeiten ich hatte, enthielt sie jedoch diesem Gebieter vor, und nur sehr zögerlich gehorchte ich seinen fast durchweg albernen, kleinlichen Befehlen. Er war nur ein unbedeutender Magier.
    Er reichte mich weiter an den Nächsten und wieder einen anderen. Meine nächste deutliche Erinnerung habe ich Gregory Belkin zu verdanken, der sie in mir aufrührte ... dass ich in Babylon war, als Alexander der Große starb. Wie ich dahin gekommen bin, wem ich diente, ich weiß es nicht. Doch ich weiß, dass ich mich mit Kleidern und einem Körper versah, sodass ich einem von Alexanders Soldaten glich, denn ich wollte an seinem Sterbelager vorbeidefilieren. Und so sah ich, wie er mit einer Geste seiner Hand andeutete, dass der Tod ihm nahe war.
    Ich sehe ihn noch vor mir auf seinem Bett liegen, und ich nahm eine glühende Aura um ihn herum wahr, ebenso hell strahlend, wie ich sie bei Kyros, dem Perser, gesehen hatte.
    Selbst als er im Sterben lag, war er noch sehr schön und auf eine seltsame Weise lebendig. Er beobachtete sein eigenes Dahinwelken und kämpfte nicht ums Weiterleben. Er versuchte nicht verzweifelt zu leben. Es schien, als wisse er, dass hier sein Leben endete. Ich glaube nicht, dass er sich dieses Geistes, der da an seinem Bett stand, bewusst war, da ich meinen festen, vollständigen Körper hatte. Ich kann mich erinnern, dass ich zurückging zu meinem damaligen Gebieter und ihm erzählte, dass dieser große Welteneroberer im Sterben lag, und mir scheint, dieser Gebieter war alt, ebenfalls ein Grieche, und er weinte. Ich weiß auch noch, dass ich meinen Arm um ihn legte und ihn tröstete.
    All dessen könnte ich mich nicht erinnern, wenn Gregory nicht den Namen Alexander mit solcher Wut ausgestoßen und er-klärt hätte, dass seiner Ansicht nach Alexander der einzige Mensch war, der es fertig gebracht hatte, die gesamte Welt zu verändern.
    Ich könnte mich jetzt um die Erinnerung an weitere Gebieter mühen ... könnte weitere Tropfen aus dem Krug der Erinnerung schöpfen. Aber sie hatten alle nicht genügend Würde oder magische Kräfte oder Größe, als dass ich ihrer hätte gedenken wollen. Ich war ein Botenjunge, ein Geist, der ausgeschickt wurde zu stehlen, zu spionieren oder manchmal auch zu töten. An das Töten kann ich mich erinnern, an Gewissens-bisse jedoch nicht. Auch nicht daran, jemandem gedient zu haben, der durch und durch schlecht war. Nur dass ich zweimal einen Gebieter in dem Augenblick erschlug, als er mich in die reale Welt rief, das weiß ich, denn diese Männer waren schlecht.
    Doch all dies ist verschwommen, undeutlich für mich. Nur an Samuel von Straßburg - Samuel, genau wie der Prophet - erinnerte ich mich sofort ganz lebhaft, als ich mich in den kalten, klaren Straßen New Yorks wieder fand, nur um Zeuge des Mordes an Esther Belkin zu werden. Ich sah sein Bild in aller Deutlichkeit vor mir.
    Samuel war ein Magier und ein führender Mann unter den Juden Straßburgs. Ich weiß nur, dass ich ihn und seine fünf entzückenden Töchter liebte. Ich kann mich nicht an den Anfang oder Verlauf unserer Beziehung erinnern, nur noch an das Ende, an die letzten Tage, als der Schwarze Tod die Stadt heimgesucht hatte und alles in Aufruhr war. Damals ließen

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