Engel der Vergessenen
Sauberkeit, alles roch nach Zephirollösung.
Da man jetzt alles besaß, was ein Krankenhaus brauchte, denn Taikky hatte in den vergangenen Monaten wirklich alle Lieferungen für die Leprastation in Nongkai gelassen, waren die Betten bezogen, trugen die Pfleger und Schwestern weiße, gestärkte Kleidung, stapelten sich in den beiden Apotheken die Medikamente und war das Küchenmagazin für drei Wochen gefüllt.
Vor dem Eingang des Hospitals, unter dem Vordach, standen die Ärzte in weißen Mänteln, weißen Hosen und weißen Leinenschuhen. Dr. Kalewa, der junge Anästhesist, führte sie an. Er war jetzt der ›zweite Mann‹ nach Dr. Butoryan. Etwas abseits, als stünden sie hinter einer Isolierenden Glaswand, warteten vier Ärzte in Zivil, ohne das Weiß ihres Standes, aber doch in ihren besten Anzügen. Hinter ihnen stapelten sich Koffer. Jeder in Nongkai wußte, wer sie waren: die Ärzte, die bis zuletzt zu Dr. Karipuri gehalten hatten.
Wie bei Hallers erstem Einzug in Nongkai spannten sich wieder Blumengirlanden über die Hauptstraße, warteten Frauen und Kinder mit großen Sträußen am Tor, stand der Ältestenrat würdevoll zusammen und bereitete sich Minbya, hin- und hergehend, auf seine Rede vor. An der Kirche hatte sich der Chor versammelt und probte noch einmal leise das Begrüßungslied. Bei den Buddhisten herrschte weihevolle Stille; der Mönch und seine beiden Tempelhüter in langen, orangegelben Gewändern hatten eine Stunde vorher ihre zur Glatze geschorenen Köpfe mit duftenden Ölen eingerieben und verteilten jetzt an die Gläubigen lange Räucherkerzen, Gebetsmühlen und kleine kupferne Handtrommeln. Vor der großen Buddhastatue loderten die Feuer in den breiten Bronzeschalen.
Der Himmel war schwer von Wolken, aber noch regnete es nicht, als die Kolonne vor Nongkai erschien. Vorweg fuhr Oberst Donyan mit dem Jeep, in dem Haller und Siri saßen, seit Stunden durchgeschüttelt wie in einem Mixbecher.
Die letzte Militärsperre stand stramm grüßend zu beiden Seiten der Straße. Der Weg zum Fluß Nongnong war ein grüngelber Brei, der Fluß selbst hatte weite Teile des Niederdschungels überschwemmt und schwappte fast bis an die Straße. In den paar Sonnenstunden der vergangenen Tage waren sogar Krokodile nahe dem Haupteingang von Nongkai aufgetaucht und von den Soldaten erschossen worden.
Donyan bremste und hob die Hand. »Kolonne halt!«
Das große Palisadentor stand offen. Man sah die Hauptstraße, das Spalier der blumentragenden Menschen, die Frauen und Kindergruppen, den Ältestenrat und Minbya mit seiner Nasenklappe. Von der Kirche her schritt feierlich der Kirchenchor, an der Spitze der Prediger Manoron, den rechten Arm erhoben, um den Einsatz zu geben, wenn Dr. Haller zu sehen war. Von rechts, über die neu erbaute Straße zu den neuen Häusern, kam in feierlichem Schweigen die buddhistische Gemeinde, auf ein Zeichen bereit, mit den Gebetsmühlen zu rasseln und gegen die Handtrommeln zu schlagen. Und auf dem Kirchendach blies sich der Küster die Lunge aus der Kehle.
Dr. Haller stieg vor dem Tor aus. Er blickte die Palisade hinauf und schlug dann die geballten Fäuste gegeneinander. Etwas anderes war ihm nicht möglich. Die Rührung würgte ihn ab.
Über dem Tor, dort, wo einmal die frommen Schwestern das Schild ›Hospital Jesus am Kreuz‹ hatten malen lassen, hing ein großes Transparent, auf dem mit dicken roten Buchstaben geschrieben stand: ›Dr.-Haller-Hospital Nongkai‹.
Schweigend starrte Dr. Haller das Transparent an, bis Donyan hinter ihm den Arm um seine Schulter legte.
»Unsere Überraschung, Doc: Der Name ist amtlich! An dieser Stelle soll ich Ihnen ausrichten: Es ist ein Dank der birmesischen Regierung an Sie. So, nun fangen Sie an zu heulen! Es nimmt Ihnen keiner mehr übel!«
»Einen Dreck werde ich!« sagte Haller rauh. Er steckte die Hände in die Taschen seines Tropenanzuges und ging allein auf das offene Tor zu. Donyan hielt Siri, die ihm nachlaufen wollte, zurück.
»Lassen Sie ihn jetzt allein, Siri«, sagte er. »Zweimal ist er durch dieses Tor gekommen. Einmal als der erwartete Engel, und dabei suchte er damals nur einen Platz, um sich totzusaufen. Das zweite Mal hinausgeknüppelt als mieser Verbrecher, und da war er unschuldig und hatte nichts anderes getan, als den Menschen zu helfen. Jetzt beim drittenmal, ist es der Triumphzug eines Siegers, und keiner sieht, daß der Held auf allen vieren zurückkommt. Laß ihn jetzt, diese paar Minuten, allein,
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