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Engel der Vergessenen

Engel der Vergessenen

Titel: Engel der Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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da?«
    »Die Herren Kollegen möchten sich verabschieden, Herr Chefarzt«, sagte Dr. Kalewa.
    »Warum? Vertragen sie die Mücken nicht?« Doktor Haller wandte sich ab und ging zu den vier Ärzten. »Ziehen Sie Ihre Kittel an!« sagte er. »Und glotzen Sie mich nicht so an. Ich brauche Sie! Ich brauche jeden von Ihnen! Jeden Finger an Ihnen, jede Hirnzelle in Ihrem Schädel!«
    »Wenn wir Ihnen etwas erklären dürfen, Dr. Haller …«, sagte einer der Ärzte leise.
    »Was wollen Sie erklären?« Haller schüttelte den Kopf. »Schon Oberst Donyan und Dr. Butoryan erzählten da etwas von einer Massenprügelei mit Bambusstöcken. Ich kann mich nicht erinnern … Sie etwa?«
    »Dr. Haller! Wir standen mit in der Reihe …«
    Dr. Haller sah die vier Ärzte einen Augenblick schweigend an. Dann zeigte er auf die kleine Gruppe.
    »Habt ihr an einer Rauschwurzel gekaut?« fragte er so laut, daß es alle hören konnten. »Oder habt ihr das verdammte Mitragyna { * } geraucht? Alle die gleichen Halluzinationen! Ich weiß von keiner Prügelei.« Er wandte sich an das Volk, das ihn verständnislos anstarrte.»Wißt ihr etwas davon? Ich weiß nur, daß in Nongkai fröhliche Menschen wohnen!«
    »Wenn du willst, Doktor, schlagen wir sie tot!« schrie jemand aus der Menge.
    »Ich will, daß ihr vergessen könnt!« brüllte Haller zurück. »Hier ist genug gestorben worden. Ich will Leben sehen! Verdammt noch mal: Leben!« Er drehte sich wieder zu den Ärzten um und schlug die Fäuste gegeneinander, seine typische Reaktion, wenn ihm nichts mehr einfiel, womit er seine innere Rührung beherrschen könnte. »Leben …«, sagte er leise. »Ihr solltet doch wissen, was das bedeutet: Leben.«
    Er ging in das Hospital. An der Doppeltür stand der finstere Pala mit seinem unbeweglichen Gesicht.
    »Alles in Ordnung, du Halunke?« schrie Haller. Er mußte schreien, seine normale Stimme wäre zerbrochen.
    Pala nahm stramme Haltung an.
    »Alles in Ordnung, Doc!«
    »Station I?«
    »Vierzehn hoffnungslose Fälle, Doc.«
    »Die will ich mir gleich ansehen.«
    Die Visite begann. Das Volk auf der Straße zerstreute sich, die Ärzte und Schwestern begaben sich auf ihre Stationen und Zimmer. Am Tor wurden die einhundertzwölf Neuen ausgeladen, Oberst Donyan begleitete einen Handwagen, auf dem, noch ungeöffnet, die Kiste mit der Glocke stand, zur Kirche.
    Minbya schritt mit seiner Tochter langsam über den Blumenteppich die Straße hinunter zu Hallers Hütte. Die verschwand fast unter Tausenden von Dschungelblüten.
    »Bist du glücklich, Töchterchen?« fragte Minbya.
    »Glücklicher als die Sonne am Morgen, Vater.«
    Es begann zu regnen. Plötzlich, als bräche der Himmel auseinander. Die Wasserflut klatschte auf das Land, als schlügen hundert Riesen in die Hände.
    Das riesige Porträt Dr. Hallers vor dem Verwaltungsgebäude zerfloß zu einem Wirrwarr von Farben. Siri starrte empor zu der Vernichtung, der Regen strömte an ihr herab und schien auch sie aufzulösen, und Minbya stand neben ihr, streichelte ihren Kopf und wußte, was sie dachte.
    »Sieh nicht mehr hin«, sagte er endlich, als Hallers Bild unkenntlich geworden war. »Es war nur Farbe, ganz billige Farbe, Töchterchen.«
    Am Abend dieses Tages, als der Regen etwas nachließ, hörte die Patrouille auf dem Nongnong einen gellenden Schrei aus dem Uferdickicht. Die vier Soldaten unter der schützenden Plane wendeten sofort das schnelle kleine Motorboot und fuhren auf das rechte Ufer zu.
    Sie hatten sich gerade durch die tief herunterhängenden Mangroven durchgekämpft, als sie eine Gestalt aus den Büschen stürzen sahen. Der Mann, in zerfetzter, durchweichter Kleidung, rannte zum Fluß und schrie gellend »Hilfe! Hilfe! Hilfe!«
    Er hatte den Nongnong noch nicht erreicht, als ein gelbschwarz gestreifter Schatten aus dem Dschungel flog und ein dumpfes Brüllen die Stille zerriß.
    Der Mann warf sich herum, riß eine Pistole hoch und zielte. Aber als er abdrückte, versagte die Waffe. In panischer Verzweiflung riß er an einem Ast, um ihn abzubrechen, aber im Dschungel lebt jeder Baum; solange er aufrecht steht, ist er voll Saft und Stärke und läßt sich nur mit Äxten und Macheten besiegen.
    Ein paar Sekunden starrten sich Mensch und Tier in die Augen. Dann duckte sich der Tiger, der Schweif peitschte über den schlammigen Boden, die Hinterbeine stemmten sich ab, die Muskeln traten durch das Fell. Noch einmal hob der Mann seine Pistole, lud sie durch und drückte wieder ab, ohne daß

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