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Engel der Vergessenen

Engel der Vergessenen

Titel: Engel der Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Siri.«
    Sie starrte Donyan verständnislos an, und als er sich abwandte, um zum Jeep zurückzugehen, hielt sie ihn am Ärmel der Uniform fest.
    »Was wissen Sie?« sagte sie. Ihre Finger krallten sich in den Stoff, und ihre schwarzen Augen waren so groß, daß sie das schmale Gesicht fast ganz ausfüllten. »Oberst Donyan – gibt es etwas, was ich nicht von Chandra weiß?«
    »Wissen Sie es wirklich nicht?«
    »Nein! Was?«
    »Sehen Sie doch seine Augen an! Ich bin kein Mediziner, ich verstehe von Krankheiten so viel wie ein Ochse von klassischer Musik – aber diese Augen, Siri, die verstehe ich!«
    »Chandra hat wundervolle Augen …« Es sollte stolz klingen, aber im Hintergrund schwang die Angst.
    »Sie haben keinen Glanz mehr. Siri – Sie werden Kraft brauchen in der nächsten Zeit …«
    »Ich habe Kraft, Oberst.«
    »Ich habe Hallers Andeutungen nie verstanden, aber von Homalin bis hier hatte ich endlich Zeit, ihn genauer anzusehen … Er rennt wirklich gegen die Zeit an.«
    Donyan befreite sich aus Siris Griff, nahm ihren Kopf zwischen seine Hände und küßte sie auf die Stirn. Dann drehte er sich schnell um und ging zu den wartenden Lastwagen zurück. Sie starrte ihm lange nach, ehe sie Haller ins Dorf folgte.
    Der Kirchenchor setzte ein und übertönte – es waren immerhin dreiundsiebzig Sänger und Sängerinnen – sogar das Gedröhn des Riesenkürbis.
    »Nun danket alle Gott«, sangen sie auf birmesisch mit einem eigenwilligen Rhythmus, aber doch in der altvertrauten Melodie bleibend. Von rechts rasselten die Gebetsmühlen der Buddhisten, und die Handtrommeln zerhämmerten das fromme christliche Lied.
    »Lauter!« feuerte Manoron seinen Kirchenchor an. »Lauter! Ihr wimmert wie kastrierte Böcke! Lauter! Reißt die Mäuler auf!«
    Aber es nutzte nichts mehr. Durch Nongkai tobte ein Höllenlärm. Alles, was auf der Straße stand, schrie und schwenkte Blumen und Girlanden. Die von Minbya eingeübte Ordnung zerbrach, Menschenwellen spülten nach vorn und drängten zu Dr. Haller, Kirchenchor und buddhistischer Festzug wurden auseinandergerissen, alles rannte zum Tor. Die Räucherkerzenträger ebenso wie die Gebetsmühlenschwenker, die Frauen mit ihren kleinen Kindern auf dem Arm, wie die Greise, die mit den Stöcken um sich schlugen und »Platz! Platz! Wollt ihr wohl dem Alter Platz machen!« kreischten.
    Wie damals, als Dr. Haller durch die Gasse der wirbelnden Bambusstöcke um sein Leben rannte, nahm ihn auch jetzt eine Menschenmenge in ihre Mitte, stemmte ihn hoch, ein paar Sekunden lang schwebte er waagerecht in der Luft, dann hatten ihn starke Arme aufgerichtet, und auf einem lebenden Thron von emporgereckten flachen Händen saß er plötzlich über den Köpfen der jubelnden Kranken: die kräftigen Burschen seiner ehemaligen Leibwache trugen ihn davon zum Hospital.
    Ohne den Boden zu berühren, über einen Teppich aus hochgereckten Händen gleitend, erreichte Doktor Haller das Hospital. Dort erst ließ man ihn herunter, und die Menschenmauer wich zurück.
    Dr. Kalewa trat zwei Schritte vor. Der Vulkan aus Liebe und verzweifeltem Lebenswillen hatte ihn und die anderen Ärzte tief beeindruckt. Der Küster auf dem Dach hatte einfach keine Luft mehr in den Lungen. Erschöpft lag er auf dem Rücken wie ein geplatzter Frosch. Minbya war zurückgeblieben. Er stand am Tor, hatte Siri umarmt und küßte sie.
    »Der Prediger hat recht«, sagte er mit schwankender Stimme. »Die Welt geht noch nicht unter. Auch in Nongkai nicht.« Dann lehnte er den Kopf an Siris Schulter und begann zu weinen, und es war das erste Mal, daß Siri ihren Vater weinen sah.
    »Nongkai gehört wieder Ihnen«, sagte Dr. Kalewa und verbeugte sich höflich vor Haller. »Ich übergebe Ihnen sechshundertneunundvierzig Kranke, einhundertvier Gesunde, vierzehn Ärzte und dreiunddreißig Schwestern und Pfleger.«
    Dr. Haller steckte die Hände wieder in die Taschen seines Rockes.
    »Wie heißen Sie noch mal, Herr Kollege?«
    »Kalewa.«
    »Mein lieber Kalewa. Sie liefern mir Nongkai aus, als hätte ich es erobert.«
    »Sie sind der Sieger, Dr. Haller.«
    »Blödsinn! Ich bin zurückgekommen, um meine Arbeit am OP-Tisch wiederaufzunehmen. Das ist alles.« Er hob den Arm und blickte auf seine Uhr. »Fünfzehn Uhr. In einer Stunde ist Abendvisite.«
    »Es ist alles vorbereitet, Dr. Haller. Alle Stationen?«
    »Was denken Sie denn?« Haller zeigte auf das Grüppchen der vier abseits vor ihren Koffern stehenden Zivilisten. »Wer sind denn die

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