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Engel der Vergessenen

Engel der Vergessenen

Titel: Engel der Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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erst einmal tief durch, um den Alkoholdunst aus seiner Lunge zu blasen. Dann drehte er sich zu Siri um. Sie saß noch immer auf dem Boden, den Wasserkübel zwischen den gespreizten Beinen, und sah zu ihm hoch.
    »Ich hätte mich nicht so besoffen, wenn du gestern gekommen wärst«, sagte Haller. »Wo sind meine Sachen?«
    »Vor der Hütte an einem Pfahl, ich hole sie gleich.«
    »Wenn ich darum bitten darf.«
    Er wartete, aber Siri blieb sitzen. Ihre großen Augen musterten ihn ungeniert, so daß er wieder nach dem Handtuch griff und es der Länge nach vor sich hielt. Ich bin ein saublöder Hund, dachte er dabei. Ein Benehmen wie die Jungfrau hinterm Schlüsselloch. Aber diese Augen sind von einer geradezu gemeinen Naivität. Wer kann das aushalten?
    Er knurrte etwas vor sich hin, ging hinaus, holte seine Kleidung, kehrte in die Hütte zurück und begann sich anzuziehen. Als er die Hose zuknöpfte, kam er sich wesentlich wohler vor. Er fuhr sich mit den gespreizten Fingern durch die Haare und lehnte sich dann wieder gegen die Hüttenwand.
    »Warum bist du nicht gekommen?« fragte er.
    »Gestern war der Abend der Männer, Herr.«
    »Auf einen Abend mit dir hatte ich mich gefreut.«
    Siri stand auf, hob den Wasserkübel auf ihre linke Schulter und warf mit einer Kopfbewegung die Haare zurück. Ihre nackten Brüste spannten sich dabei noch mehr. Sie war sich ihrer Schönheit bewußt, aber es war kein Kokettieren mit ihrem Körper, sie empfand es wohl als das Natürlichste von der Welt, das Geschenk der Natur wie ein Kleid zu tragen.
    »Es ist verdammt schwer, alt und zerstört zu sein«, sagte Haller leise. »Ich kann dich verstehen, Siri. Die Welt wimmelt von jungen Burschen. Ich bin nur ein trauriger Clown.«
    »Was ist ein Clown, Herr?« Siri neigte etwas den Kopf, als lausche sie angestrengt auf einen unbekannten Ton.
    »Tja, was ist das? Sieh mich an, Siri. Wenn ich mir einbilden würde, ein Mann zu sein, noch ein Mann zu sein, der ein junges, schönes Mädchen wie dich in den Arm nehmen kann, ohne daß diesem Mädchen Schauer des Ekels über den hübschen blanken Rücken laufen, und der sich dann benimmt wie ein balzendes Vogelmännchen und nicht merkt, daß alle Welt über ihn lacht und ihn gleichzeitig bedauert, dann ist das so etwas wie ein Clown. Aber manchmal ist es schön, ein Clown zu sein, man drängt sich zu dieser Rolle, man will sie spielen auf Teufel komm heraus. Man badet sich regelrecht in der Lächerlichkeit, weil es die letzte große selige Illusion ist vor dem völligen Zusammenbruch.«
    Er trat vor sie hin, nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände; in ihre großen, fast schwarzen Augen sprang Erschrecken und eine zitternde Erwartung, sie wollte den Kopf wegziehen, aber er hielt ihn fest umklammert, zog ihn zu sich heran und küßte die vollen Lippen, die vor ihm aufbrachen wie eine Blüte, die die Schalen der Knospe sprengt.
    Siris Lippen waren kühl, aber sie waren pulsierendes, schwellendes Leben, sie waren der Eingang zu einer wahnsinnigen Seligkeit, die nicht länger dauern würde als dieser Kuß. Er wußte das, und er umspannte Siris schmalen Kopf mit den Händen wie mit Klammern und sog diesen Duft nach Orangen, nach Jugend und Hingebung in sich ein.
    Sie blieb stehen mit geschlossenen Augen, kerzengerade, den Wasserkübel auf der linken Schulter festhaltend. Die Brüste schwangen etwas, als er von ihr zurücktrat, befreit von dem Druck seiner Brust.
    Siri öffnete die Augen. Es war, als erwache sie aus einer hypnotischen Starrheit. Ein langer, dunkler Blick streifte Dr. Haller, dann machte sie eine Drehung aus der Schulter und schüttete mit einem Schwung das Wasser aus dem Kübel über ihn. Lautlos, ein Schatten, huschte sie aus der Hütte.
    Dr. Haller blieb bewegungslos stehen und ließ das Wasser an sich hinablaufen. Der perfekte Clown, mit Wasser übergossen, lächerlich bis zum Erbarmen, den Jammer der ganzen Welt in sich, eine Figur aus Blödheit und Sehnsucht.
    Es darf gelacht werden.
    Er nahm das Handtuch, wischte sich das Gesicht trocken und verließ die Hütte. Langsam ging er die Dorfstraße hinunter zum Hospital.
    Nongkai schien ausgestorben zu sein. Die Häuser standen leer, die Türen waren offen, nur die Hunde und Katzen, die zahmen Schweine, Hühnervölker und Gänse vollführten einen lauten Spektakel. Kein menschlicher Laut.
    Als er dem Hospital auf Sichtweite näher kam, löste sich das Rätsel: Ganz Nongkai, die Kranken und auch die Gesunden, standen als dichte dunkle

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