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Engel der Vergessenen

Engel der Vergessenen

Titel: Engel der Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Masse vor dem weißen Gebäude und warteten.
    Warteten auf ihren Arzt.
    Dr. Haller wischte sich noch einmal über das Gesicht. Von den nassen Haaren lief das Wasser rundherum den Kopf herab, aus dem Anzug floß eine nasse Spur über die Straße.
    Durch die Gasse der Leute von Nongkai rannte er die Treppen hinauf zum Hospital.
    Dr. Karipuri und Direktor Taikky warteten im Arztzimmer. Haller hatte um 10 Uhr die Visite angesetzt, Pala hatte die Kranken gewaschen, drei Mädchen hatten die Zimmer und Gänge geputzt, alles glänzte vor Sauberkeit. Selbst die ältesten Einwohner von Nongkai konnten sich nicht erinnern, jemals solch eine Ordnung gesehen zu haben, auch nicht zu Zeiten der frommen Schwestern vom Orden ›Zum sanften Blut‹. Nun wartete alles auf Dr. Haller, der mit dem einzigen Satz »Morgen um zehn ist Visite!« bereits eine Revolution begonnen hatte. Taikky hatte es entsetzt festgestellt, als er mit dem Chefarzt in das Hospital kam: Die Schwerkranken lagen wie Puppen in ihren Betten. Mit frischer Wäsche und in sauberen Hemden.
    »Sie haben einfach das Magazin aufgebrochen«, flüsterte Taikky Dr. Karipuri zu. »Ich werde nach der idiotischen Visite eine Untersuchung führen und den Schuldigen auspeitschen lassen!«
    »Warten Sie ab, Taikky. Denken Sie an die Nacht. Haller wird heute morgen seinen letzten Kredit bei den Kranken verlieren.«
    Was sie dann sahen, übertraf ihre kühnsten Erwartungen. Ins Zimmer kam ein Mann, dem das Wasser aus dem Anzug lief und dessen Haare wie ein weißlicher Schwamm aussahen.
    »Fangen wir an?« fragte Dr. Haller. Karipuri starrte ihn ungläubig an.
    »In diesem Aufzug?« fragte er gedehnt.
    »Warum nicht? Mißfällt Ihnen was an mir?«
    »Sie triefen ja vor Nässe …«
    »Ach so, das?« Dr. Haller grinste. »Das gehört zu meinem Image, Herr Kollege. Die einen hängen sich ein Stethoskop um den Hals, die anderen schnallen sich einen Stirnreflektor um, es gibt Kollegen, die klappern mit einem Stapel von Holzspateln in der Tasche herum wie ein Zuchthauswärter mit den Schlüsseln – ich lege mich vor einer Visite immer ins Wasser und lasse mich vollsaugen wie ein Kamel. Chacun a son goût … Können wir anfangen?«
    Dr. Karipuri nickte verwirrt. Während Dr. Haller einen weißen Kittel über seinen tropfenden Anzug streifte, flüsterte Karipuri dem scheinbar unbeeindruckten Taikky zu: »Er hat sein Hirn bereits zerstört. Das ist eine unbezahlbare Ausgangsposition für alle zu erwartenden Unglücksfälle. Wie lange können Sie Haller in Ihren Büchern führen?«
    »Bis zur nächsten Kontrollkommission.« Taikky lächelte breit. »Wenn wir melden, daß die Lepra trotz aller Bemühungen in ein epidemisches Stadium getreten ist und Nongkai absolutes Sperrgebiet sein muß, kommt nie ein Beamter aus Rangun hierhin.«
    »Fünfzig zu fünfzig?« sagte Karipuri schnell.
    Taikky nickte.
    »In diesem Fall – ja.«
    Als Dr. Haller aus der Garderobenecke zurückkam und seinen weißen Kittel zuknöpfte, war er für Karipuri und Taikky bereits ein toter Mann. Selbst sein Gehalt war schon verteilt.
    »Bevor ich mir die Kranken ansehe, will ich erst die Apotheke inspizieren«, sagte Dr. Haller. »Es ist noch kein Leprakranker durch Fingerlutschen gesund geworden.«
    »Bitte, Herr Kollege.« Dr. Karipuri lächelte maliziös. »Ich führe Sie gern. Niemand soll sagen, wir hätten Ihr Informationsbedürfnis nicht gestillt.«
    Er ging voraus. Ihm schien es, als gebe er Dr. Haller bereits das letzte Geleit.
    Es blieb nicht mehr viel Zeit zum Abschied. Mit knapper Not hatten sie den Flughafen erreicht, nachdem sie in eine Verkehrsstockung geraten und nur noch schrittweise vorangekommen waren. In drei Reihen schoben sich die Autoschlangen vorwärts, eine stinkende Blechlawine, die sich über die Stadt ergoß und sie zerdrückte. Peter, der im ersten Taxi saß, blickte ungeduldig auf die Uhr und tippte den Fahrer an.
    »Um 10 Uhr fliegt die Maschine …«
    »Aber ich kann nicht fliegen.« Sie steckten wieder eingekeilt in der Autolawine und warteten, bis die Ampeln wieder auf Grün sprangen. »Das ist die blödeste Zeit, um nach der Uhr zu fahren«, sagte der Taxichauffeur. »Geschäftsbeginn, langer Samstag, da sind Sie schneller zu Fuß. Oder Sie hätten eine Stunde früher losziehen müssen!«
    »Wenn wir die Maschine nicht kriegen, sitzen wir fest bis Dienstag.«
    »Meine Schuld?« Der Fahrer lehnte sich gemütlich zurück. »Schreiben Sie nach Bonn ans Ministerium.«
    »Taxis sollten

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