Engel der Vergessenen
ja.«
»Sehen Sie!« Haller sog an seiner Zigarette. »Doch zu Ihnen, Bettina. Was werden Sie machen?«
»Natürlich bleiben.«
»So natürlich ist das gar nicht.«
»Ich habe einen Vertrag für zwei Jahre.«
»Zerreißen Sie ihn und hängen Sie ihn auf den Lokus. Sie kommen mit mir nach Rangun.«
»Auf gar keinen Fall!« Es klang endgültig, aber Haller ließ sich davon nicht beeindrucken. »Sie wissen doch, daß Sie auf einer Fallgrube sitzen. Wenn Taikky aufs Knöpfchen drückt, macht es schwupp, und Bettinchen ist weg.«
»Sie haben eine ekelhafte Art zu reden. Sie betrachten wohl alle Menschen als Halbidioten?«
»Untertreiben Sie nicht! Nehmen wir das Beispiel Bettina Berndorf. Da kommt ein hübsches, frisches Mädchen in den birmesischen Dschungel, um aus Idealismus zwei Jahre Fieberhölle und Lepradorf abzureißen. Nehmen wir an, sie macht sich dabei nicht kaputt, dann bleibt nur eins: Das Mädchen ist hier höchst unwillkommen. Es hat helle, wache Augen und sieht mehr, als sie sehen soll. Und sie wird einmal Gelegenheit haben, das Gesehene weiterzugeben. Das kostet Taikky vielleicht nicht den Kopf, dazu ist er zu prominent und hat zuviel einflußreiche Freunde. Aber seine Einnahmen würden zurückgehen. Ein Monstrum wie Taikky ist in das Geld verliebt, weil er sonst nichts ins Bett bekommt. Er schläft mit seinem Reichtum. Den wollen Sie ihm wegnehmen? Bettina! Wenn Männer und Frauen töten, weil man ihnen den Bettgespielen wegnahm – um wieviel größer muß dann Taikkys Haß sein, dem Sie seinen ganzen Lebenssinn zerstören!« Er sah sie von der Seite an. Sie rauchte nachdenklich und blickte in die Wolkenbank mit den silbernen Rändern. »Ist Ihnen jetzt klargeworden, wo Sie hier sitzen?«
»Ich wußte schon in Rangun, was mich hier erwarten würde. Aber ich weiß auch, daß sich das Gesundheitsministerium um mich kümmert.«
»Sie Mondbewohner! Rangun! Das liegt auf einem anderen Planeten! Wenn Sie am Biß einer Giftschlange sterben, zwischen Krokodile fallen, von einem umstürzenden Baum erschlagen werden oder ganz schlicht verschwinden – was wird Rangun wohl tun? Es wird an Ihre deutsche Dienststelle schreiben: Wir bedauern Ihnen mitteilen zu müssen, daß die Krankenschwester Bettina Berndorf das Opfer eines Unfalls geworden ist. Sie wurde bereits in Nongkai begraben. Aus. Und Taikky hockt weiter auf seinen Geldscheinen. Nein, Bettina, fliegen Sie mit mir zurück!«
»Ich habe keine Angst.«
»Ach! Aber um mich haben Sie Angst gehabt?«
Sie zertrat die Zigarette und erhob sich. »Ich muß zu meinen Kranken«, sagte sie. »Ich habe Nachtwache.«
»Ich löse Sie ab. Um sechs packen Sie Ihre Koffer. Bis dahin muß ich schlafen. Ich wundere mich, daß ich mich überhaupt noch auf den Beinen halte.«
Er folgte ihr. Sie gingen langsam die stille Dorfstraße hinunter zum Hospital.
Ein paar Hunde trotteten lautlos neben ihnen her.
»Übrigens«, sagte Haller, »wenn Sie Taikky sehen, wundern Sie sich nicht. Er hat ein Brillen-Hämatom. Er muß morgen früh wunderlich aussehen.«
Sie betrachtete ihn verstohlen. »Wie waren Sie eigentlich früher?« fragte sie.
»Ich kann mich nicht daran erinnern«, sagte er abweisend.
»Sie müssen ein fabelhafter Arzt gewesen sein. Ich habe Ihre Frischoperierten verbunden, zusammen mit Dr. Adripur. Von Amputieren verstehen Sie was.«
»Danke. Mit der gleichen Kunst habe ich auch mein eigenes Leben verstümmelt. Sehen Sie mich nicht so von der Seite an.«
»Warum haben Sie so wüst gelebt, Dr. Haller?«
»Weil ich eine Frau geliebt habe, die so aussah wie Sie.«
Er blieb stehen, griff nach ihr, zog sie an sich, wartete, daß sie sich wehrte und ihm die Fäuste ins Gesicht schlug. Sie tat es nicht, sie machte sich nur steif und preßte die Lippen aufeinander, als er sie küßte.
»Das war für die Erinnerung«, sagte er rauh und ließ sie wieder los. »Über die Zukunft reden wir ab Rangun! Sie packen nachher!«
»Nein!« Sie warf den Kopf in den Nacken. »Ich begehe keine Fahnenflucht und überlasse die Kranken nicht ihrem Schicksal.« Sie drehte sich brüsk um und ging die letzten Schritte zum Hospital allein.
Haller blieb stehen. Wartet sie, daß ich nachkomme? Fahnenflucht! So ein Blödsinn. Hinter welcher Fahne ziehen wir denn her? Die Fahne der Humanität? Die Fahne des Fortschritts? Die Fahne des medizinischen Gewissens? Alles ausgefranste, zerrissene Tücher. Fahnenflucht! Er lachte bitter.
In dem Zimmer der Nachtstation setzte sich
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