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Engel der Vergessenen

Engel der Vergessenen

Titel: Engel der Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Bettina an den Tisch und schlug die Hände vors Gesicht. Ihre Beine zitterten.
    Wenn er mir jetzt nachgekommen wäre, dachte sie und fiel mit dem Gesicht auf den Tisch. Wenn er jetzt hereinkäme, wäre alles anders. Sie kam sich elend vor in den Gedanken, die sie nicht weiterdenken wollte.
    In der Hütte brannte nur die kleine Öllampe, als Haller hereinkam. Er blickte um die Ecke. Adripur war nicht da. Vermutlich wollte er weiteren Auseinandersetzungen aus dem Wege gehen und schlief in einer Leprösenhütte oder im Hospital. Vielleicht wanderte er auch herum, zusammen mit Minbya, und informierte das Dorf, daß ihr Engel des Heils zu einem Engel mit dem Schwert geworden war.
    »Scheiße!« sagte Haller. Er warf sich auf das Bett und zog sich im Liegen aus. Die Nacht war lauwarm, auch das Nacktsein brachte keine Kühlung.
    An der Wand, im tiefen Dunkel, wo das armselige Licht der Öllampe nicht hinreichte, regte sich etwas. Dann hörte er das leichte Klatschen nackter Füße auf dem festgestampften Boden.
    »Bleib da, Siri«, sagte er müde. »Es ist Schluß.«
    Sie kam in den dünnen Lichtschein hinein, nackt wie Haller, die braune Haut mit dem süßen Öl eingerieben. Vor sich her schleppte sie einen großen Holzkübel mit Wasser und stellte ihn vor das Bett. Die ganze Zeit hatte sie geduldig auf ihn gewartet, hingekauert in die dunkle Ecke, wie ein Tier, das um seinen abwesenden Herrn trauert.
    »Ich muß dich waschen, Chandra«, sagte sie. »Stell dich hin.«
    »Mach, daß du rauskommst!«
    »Es ist klares, kaltes Wasser.«
    »Ich will nicht, und wenn ich stinke wie ein Skunk.«
    »Was ist ein Skunk?«
    »Ein Stinktier! Wen es anstinkt, der kann sich die Haut abschälen und stinkt immer noch.«
    »Du bist kein Stinktier. Du bist meine Liebe.«
    »Fängt das schon wieder an?«
    »Es fängt immer und immer wieder an, Chandra. Es hört nie auf, so lange du lebst. Stell dich hin!«
    Was soll man dagegen tun, dachte er. Sie wird keine Ruhe geben. Er wälzte sich aus dem Bett, stellte sich hin und zuckte zusammen, als Siri seine Brust mit einem nassen, kalten Tuch abrieb. Die Kühle des Wassers war nach dem ersten Schock wundervoll. Er dehnte sich und spürte, wie so etwas wie neues Leben durch ihn floß.
    Siris flinke, kleine Hände glitten über seinen nassen, tropfenden Körper, rieben das kalte Wasser über ihn, vom Nacken bis zu den Zehen, von den Schultern bis zu den Waden, vom Gesicht über den Leib bis zu seinen Lenden.
    »Das ist enorm«, sagte er, während Siri ihn abtrocknete. »Du hast diesen ganzen Tag, diesen stinkenden Dschungel aus mir herausgewaschen. Ich bin wie neu.«
    Sie antwortete nicht, holte aus ihrer dunklen Ecke, die voller Geheimnisse sein mußte, einen kleinen, ausgehöhlten Kürbis, schüttete Flüssigkeit in ihre Hand und begann Haller damit einzureiben. Ein herb-süßer Duft breitete sich aus. Er merkte erstaunt, wie sich seine Haut straffte, und hielt ihre Hand fest.
    »Was ist das?«
    »Das Blut der Blume Saynya, Chandra.« Sie verteilte das Öl weiter über seinen Körper. »Brautpaare reiben es in die Haut, denn es soll die Liebe unsterblich machen.«
    Er schnaufte und zog plötzlich ihren Kopf an den langen schwarzen Haaren zu sich.
    »Komm!« sagte er heiser. »Komm, du wunderbare Katze!«
    Er fiel nach rückwärts auf das Bett, zog Siri an seine Seite. Sie kuschelte sich an ihn – ein kleines, bebendes Häufchen Glück – und streichelte sein Gesicht, bis er einschlief.
    Am nächsten Morgen weckte ihn Dr. Adripur.
    Haller schrak hoch. Siri war gegangen, ohne daß er es gemerkt hatte. Der Holzkübel war mit frischem Wasser gefüllt. Dr. Adripur trug ein weißes indisches Gewand und weiße, enge Hosen. Auf dem schmalen Kopf saß eine längliche, in der Mitte geschlitzte Kappe.
    »Wie spät?« fragte Haller, sprang aus dem Bett und tauchte den Kopf in den Kübel.
    »Gleich acht Uhr, Dr. Haller.«
    »Wie sehen Sie denn aus, Sabu? Ist heute ein Festtag?«
    »Das ist die Kleidung zu Ehren unserer Toten, Doktor. Wir trauern in Weiß.«
    »Ist mir bekannt, Sabu.« Haller trocknete sich ab.
    »Wer ist gestorben?« fragte er.
    Adripur half ihm beim Anziehen, reichte ihm ein sauberes Hemd, die weiße Arzthose und den weißen Arztkittel. Als Haller alles angezogen hatte, knurrte er wie ein gereizter Tiger und begann den Kittel wieder aufzuknöpfen.
    »Was soll das, Adripur? Sie haben mich überrumpelt, und ich Tölpel habe es nicht gemerkt. Ich mache keine Visite mehr! Meine Zivilklamotten

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