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Engel der Vergessenen

Engel der Vergessenen

Titel: Engel der Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Ermordete. Ich will den Mörder haben!«
    »Wir alle haben sie getötet.« Minbyas Stimme war in der Stille laut und klar, obwohl ihm die Nase fehlte. »Rufen Sie das Militär, Doktor. Wir alle sind bereit zu sterben. Für Sie zu sterben!«
    »Für mich? Habe ich sie geköpft?«
    »Die beiden wollten Sie töten, deshalb haben wir sie getötet. Es geschah alles nur Ihretwegen, Doktor. Wir brauchen Sie. Ohne Sie sind wir tot. Aber es geht langsam. Es ist einfacher, die Soldaten erschießen uns. Wir werden ihnen mit Blumen entgegenziehen.«
    »Und wenn mir das gleichgültig ist?« brüllte Haller.
    »Dann dreh dich um, Doktor, und geh. Was dann kommt, ist nicht mehr deine Sache.«
    Haller drehte sich langsam um sich selbst. Er starrte seine Patienten an, die Frauen und Männer, die Kinder mit den Knotengesichtern, die weiterleben konnten, wenn ein Arzt sie richtig behandelte. Er sah in die Augen der Frauen, die seinem Blick standhielten, unbändig stolz. Er ging an den Betten entlang, in denen seine Amputierten lagen, die er in einer Marathon-Operation von dem abscheulichsten Tod, dem Wegfaulen der Glieder, erlöst hatte. Er ging hinüber zu Siri, und sie war wie eine Statue, unbeweglich, und blickte durch ihn hindurch.
    »Siri«, sagte er leise.
    Sie schwieg.
    Er wandte sich an Bettina.
    »Daß Sie diesen Blödsinn mitmachen, diese grandiose Bekundung eines wahrhaft idiotischen Opferwillens, erschüttert mich.«
    Sie antwortete langsam: »Dr. Haller, ich bitte Sie um Verzeihung. Ich wußte nicht, wer Sie sind. Jetzt weiß ich es.«
    »Das haben Sie schön gesagt, Bettina.« Er wandte sich weiter zu Dr. Adripur in seiner indischen Trauerkleidung. »Sabu, in zwei Stunden müssen Sie Visite machen.«
    Dr. Adripur schwieg. Er sah über Haller hinweg in die vom Urwald überwucherten Hügel. Morgendunst zog aus der Urlandschaft. Der Dschungel atmete in den neuen Tag hinein.
    Vom Verwaltungsgebäude knatterte der Hospitaljeep heran. Dr. Karipuri saß am Steuer. Neben ihn hatte sich Taikky geklemmt. Er trug einen weißen Seidenanzug und vor den Augen eine riesige Sonnenbrille. Da sein Gesicht schon im Normalzustand einem kleinen Ballon glich, fielen keine Schwellungen auf.
    »Das ist Terror!« schrie Karipuri, während er aus dem Jeep sprang. Taikky wälzte sich hinterher. Erst jetzt sah Haller, daß er eine Maschinenpistole hatte. Karipuri war unbewaffnet. Karipuri und Taikky liefen in das weite Viereck. Die geköpften Leiber sahen sie gar nicht an. »Das ist Ihr Werk, Haller!«
    »Schon wieder einer, der mir alle Schuld unter die Sohlen schiebt. Aber bitte, bitte, ich kann es vertragen. Wissen Sie überhaupt, warum diese armen Kerle sich hier versammelt haben?«
    »Natürlich!« Karipuri gönnte den Schwerkranken und Amputierten keinen Blick. Die Krankenpfleger hatten alle Hände voll zu tun, die Mückenschwärme abzuwedeln, die in surrenden Wolken vom Dschungel über das Dorf fielen. Der intensive, süßliche Krankengeruch lockte sie an. »Man hat zwei Unschuldige geköpft, nur um Ihnen zu beweisen, daß Nongkai Ihr Dorf ist!«
    »So kann man es auch sehen«, sagte Haller trocken. »Hat man Ihnen auch berichtet, daß ich um zehn Uhr Ihren Jeep brauche, um nach Homalin zu fahren? Daß ich um neun Uhr den Gouverneur in Lashio anrufe und um einen Hubschrauber bitte? Ich verlasse dieses Land!«
    Karipuri und Taikky wechselten einen schnellen Blick. Nein, das wußten sie noch nicht. Pala, ihr Verbindungsmann zu Haller, hatte in den letzten Stunden mit der Versorgung der Schwerkranken und dem Herausrollen der Betten auf den Marktplatz genug zu tun gehabt. Daß Pala mitten unter den Revolutionären stand, als gehöre er dazu, war ohnedies verwunderlich. Karipuri lobte ihn im stillen. Das war ein guter Trick, der Hallers Vertrauen zurückgewinnen konnte. Er ahnte nicht, daß Pala aus voller Überzeugung im Kreis seiner Kranken stand.
    Haller in zwei Stunden weg aus Nongkai? Ein Gespräch mit dem Gouverneur? Das war genau das, was man jetzt nicht brauchen konnte, sosehr man sich ein Verschwinden Hallers wünschte. Sein Abgang mußte weniger spektakulär vor sich gehen, unter Ausschluß der Öffentlichkeit.
    »Der Gouverneur ist bereits verständigt«, sagte Karipuri laut. Alle sollten es hören. »Eine Kompanie ist von Homalin unterwegs, um den Aufstand niederzuschlagen.«
    Das war nur die halbe Wahrheit. Der Gouverneur ahnte noch nichts. Aber der Kommandant in Homalin, Teilhaber an Taikkys Geschäften, war alarmiert worden und

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