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Engel der Vergessenen

Engel der Vergessenen

Titel: Engel der Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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geglaubt, gerade als Mediziner lächelt man darüber. Wie sagte der große Virchow? »Ich habe Tausende Tote seziert … eine Seele habe ich nie gefunden!« Diese verdammte Nüchternheit der Wissenschaft! Leute, es gibt eine Seele … ich bin selbst eine, schwebe unter den Wolken, denke, fühle, rieche und höre. Das müßte man euch sagen können, ihr Menschen … es ist wie im Leben. Ich höre das Gekreisch der Affen und das bellende Pfeifen der Hornnasenvögel, ich höre das Rauschen eines Flusses und das auf- und abschwellende raschelnde Wogen der Baumwipfel. Ich rieche einen Wind, der nach Eukalyptus schmeckt, und ich spüre nasse Kälte auf meiner Haut … aber ich schwebe, schwebe und schaukle hoch über jener Welt, in der ich einmal gelebt habe. Plötzlich verspürte er einen Druck im Rücken, in den Hüften und den Unterschenkeln. Verrückt, dachte er. Wo im Weltraum gibt's etwas Massives, das einen drücken könnte?
    Er hielt die Luft an, als neben ihm ein lautes Rascheln entstand und er so etwas wie Atemgeräusche vernahm. »Chandra!« sagte eine leise, helle Stimme. »Chandra, hörst du mich?«
    Dr. Haller preßte die Lippen aufeinander. Das ist völlig unmöglich, dachte er. Was macht Siri über den Wolken? Oder hat man sie auch totgeschlagen, und sie ist wieder bei mir, jetzt und für alle Ewigkeit?
    Er riß die Augen auf und blickte in ein Dach aus Zweigen und dicken fleischigen Blättern, handtellergroß, verfilzt, von Lianen durchflochten, so dicht, daß nur durch wenige dünne Ritzen das Blau des Himmels hindurchbrach und der Glanz einer messingfarbenen Sonne.
    »Chandra!«
    »Siri«, sagte er mühsam.
    Es klingt! Ich habe eine Stimme! Ich höre sie ganz deutlich. Etwas heiser und rauh, verdammt müde und langsam, aber sie ist es! Er lächelte und starrte in das grüne, dichte Blätterdach.
    Deutlich spürte er jetzt streichelnde Hände auf seinem Körper. Sie rieben eine breiige Flüssigkeit in seine Haut, die Hände massierten – und plötzlich waren auch Schmerzen da, überall, von der Kopfhaut bis zu den Waden, ein Brennen und Stechen, das von einem innerlichen Zucken begleitet wurde.
    »Bewege dich nicht, Chandra«, sagte Siris Stimme. Sie klang jetzt ganz nah an seinem linken Ohr und hatte nichts Überirdisches an sich. »Du hängst zwanzig Meter über dem Boden in einem Baum. Sei ganz still, Chandra. Wie fühlst du dich?«
    »Ich friere.«
    »Das macht der Brei. Er kühlt und schließt die Wunden. Es sind große rote Blüten, die wir Yungnong nennen. Wir zerquetschen sie, bis sie zu einer Art Sirup werden. Er trocknet auf der Haut, und wenn er später abfällt, ist die Wunde verheilt.«
    Er nickte, hob etwas den Kopf und blickte an sich hinunter. Er lag nackt auf einigen armdicken Ästen, und er erschrak, als er seinen Körper sah, rot überzogen, als blute er aus allen Poren.
    »Ich bin also nicht tot?«
    »Nein, Chandra, du lebst. Ich habe draußen gewartet, bis du am Fluß zusammengebrochen bist. Sie haben dich nicht verfolgt. Als niemand kam, bin ich unter dich gekrochen und habe dich hochgestemmt. Du hast dich an mir festgehalten, und so sind wir ganz langsam in den Dschungel gegangen.«
    »Ich bin gegangen? Ich?«
    »Mit geschlossenen Augen, ganz automatisch. Aber du hast es geschafft, Chandra.«
    »Ich war besinnungslos.«
    »Einen Tag und eine Nacht. Aber du bist gegangen.«
    »Wo sind wir?«
    »Oben in einem großen Baum. Keiner kann uns von unten sehen, es ist ein gutes Versteck.«
    »Ich bin auch noch den Baum heraufgeklettert?«
    »Nein. Ich habe dich hochgezogen, Chandra. Ich habe dich an Lianen festgebunden und von Ast zu Ast gezogen.«
    »Wo bekommt ein Mensch diese Kraft her?«
    »Es hat zehn Stunden gedauert, bis wir hier oben waren. Aber jetzt bist du sicher. Chandra, ich liebe dich …«
    Siris Kopf tauchte auf, ein wehender Schleier schwarzer Haare. Er sah nur ihre großen dunklen Augen und die vollen Lippen, die sich ihm näherten, seine Augen wieder zudrückten, hinunter zu seinem Mund glitten und ihn vorsichtig küßten. Erst da merkte er, daß auch sein Mund zerschlagen war und ihr Kuß den Schmerz bis in sein Gehirn stieß.
    »Wie sehe ich aus, Siri?« fragte er, als ihre Lippen sich wieder von seinem Mund lösten.
    »Wie eine mit Luft gefüllte Blase, Chandra. Aber in ein paar Tagen ist alles vorbei. Der Yungnong-Brei drückt alle Schwellungen zurück. Du lebst, und das allein ist wichtig.«
    Er begann mit den Zähnen zu klappern und krallte die Finger in die

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