Engel der Vergessenen
um Schwester Bettina zu vergewaltigen.«
»Etwas Dümmeres ist Ihnen nicht eingefallen? Meine Herren! Ihre Phantasie enttäuscht mich.«
Taikkys Augen verengten sich. »Sie haben in Lashio keine Zeugen.«
»Drei Chefärzte von drei Kliniken.«
»Wen bitte?« Taikky holte ein paar Telegrammformulare aus der Tasche. Er wedelte damit durch die Luft wie mit einem Fächer. »Die Rückantworten unserer Funksprüche nach Lashio. Unter Zeugen aufgegeben, unter Zeugen aufgenommen: Ein Dr. Haller war in keinem der drei Krankenhäuser. Man kennt einen Dr. Haller dort gar nicht.«
»Das ist doch nicht möglich!« Haller blickte von einem Arzt zum anderen. »Ich habe drei Tage mit mindestens zwanzig Personen verhandelt. Ich habe mit den drei Chefärzten zweimal zu Abend gegessen. Ein Herr von der Gouvernementregierung war auch dabei. Ein Bao Dubai.«
»Es gibt keinen, der sich daran erinnern kann«, sagte Taikky. »Bao Dubai? Er ist seit zwei Wochen in Rangun. Sie lügen erbärmlich, Haller.« Er verbeugte sich leicht. »Können wir jetzt Ihrem Wunsch nachkommen und hinaus vor das Volk treten? Es wird über Ihre Beweise staunen.«
Haller nickte schwer. »Gut! Sie haben gewonnen, Taikky.«
»Geben Sie erst mal den Revolver ab«, sagte einer der Ärzte.
»Erst nachdem ich Karipuri ein Loch in den Kopf geschossen habe.«
»Damit erschießen Sie auch Bettina.« Taikky wackelte mit dem riesigen runden Kopf. »Haller, seien Sie kein Held. Als Engel haben Sie versagt, als Held wirken Sie lächerlich. Seien Sie wieder das, was Sie sind – ein versoffener Hund, den man mit Fußtritten wegjagt. Damit man Sie aber wegtreten kann, mußten wir Bettina opfern. Aber so schlimm dürfte es nun auch nicht gewesen sein. Selbst bei der Anwendung von Gewalt empfinden die meisten Frauen so etwas, wie – wie soll ich sagen? – wie biologische Freude.«
»Wenn Sie weitersprechen, Taikky, schieße ich – ganz gleich, was dann folgt!« sagte Haller tonlos.
»Wir garantieren Bettinas Abtransport am Sonntag.«
»Wo ist Siri?«
»Das fragen wir uns auch. Sie läßt sich seit einer halben Stunde nicht mehr blicken.«
»Sie lügen erbärmlich, Taikky! Eher fällt die Sonne herunter, als daß Siri jetzt wegläuft.«
»Ihre Sonne in Nongkai ist bereits heruntergefallen, Haller! Gehen Sie hinaus, fragen Sie Minbya. Ihr eigener Vater weiß nicht, wo seine Tochter ist, und läßt sie suchen!«
»Und Adripur?«
»Packt die Koffer. Er begleitet Bettina nach Rangun und wird dann weiterfliegen in seine indische Heimat. Würden Sie jetzt den Revolver abgeben?«
»Wenn man mich so inständig bittet …«
Er ging zu dem jungen Arzt, der verlangend die Hand ausstreckte und ihm sogar zulächelte. Nur stand er falsch. Er stand neben Karipuri, und Haller mußte an dem Inder vorbei, um den Revolver überreichen zu können. Dieser eine Schritt genügte. Als Haller vor Karipuri stand, warf er dem jungen Arzt die Waffe zu. Gleichzeitig packte er Karipuri an den Schultern, riß ihn herum, griff mit beiden Händen in seine schwarzen Haare und zog ihn zu sich heran. Das ging so schnell, daß alle erst auf den über den Boden schlitternden Revolver blickten und erst dann zu Haller, als Karipuri bereits schreiend um sich schlug, ein Fausthieb ihm die Lippe spaltete, und das Blut aus seiner Nase schoß. Er sackte zusammen, aber Haller riß ihn an den Haaren hoch und schleifte ihn zum Ausgang.
Als er ins Freie trat, hinaus auf die Veranda, Karipuri vor sich herstoßend, empfing ihn hundertstimmiges Geheul. Taikky hatte sich in die Tür gestellt, ein Fleischberg, der die nachdrängenden Ärzte abblockte, die Karipuri den Händen Hallers entreißen wollten.
»Laßt ihn!« sagte er schwer atmend. »Laßt ihn! Er wollte das Volk überzeugen und diktiert doch nur sein Urteil! Wir brauchen nichts mehr zu tun.«
Haller starrte auf die Menschenmenge. Eine Welle von Haß und Vernichtungswillen schlug ihm entgegen. Er baute Karipuri wie einen Schild vor sich auf.
Er suchte Minbya. Der Alte stand ganz hinten, in der letzten Reihe, und blickte zu Boden, als Hallers Blick ihn traf. Neben ihm stand der Prediger Manoron. Der Küster mit seinem Riesenkürbis hockte auf dem Kirchendach und hatte Haller den Rücken zugedreht. Der Kirchenchor drängte sich zwischen zwei Hütten, und seine kräftigen jungen Männer, Hallers ehemalige Leibwache, waren eingekeilt von Banos Leuten.
Das alte Nongkai war überrollt, war entmachtet worden. Und das neue Nongkai, die Kreaturen
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