Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engel des Todes

Engel des Todes

Titel: Engel des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marshall
Vom Netzwerk:
verräterisch. Gab es damals Riesen? Ich glaube, ›Riese‹ bedeutet nicht unbedingt ›körperliche Größe‹. Vielmehr verweist es darauf, dass die Neuankömmlinge auf eine bereits existierende Art stießen, die kulturell hoch entwickelt war, wie das Tiervolk der Okanogans.«
    »Aber sie sind ausgestorben.«
    »Nicht ganz. Denn wovon kann man in allen Teilen der Welt hören? Von Geistern, Schattenwesen. Und wovon noch? Von Außerirdischen. Von Marsmenschen, die angeblich mit ihren Raumschiffen in den großen Wäldern gelandet sein sollen, was eine merkwürdige Form der Fliegerei ist, finden Sie nicht? Außerirdische, Elfen, Geister, das sind Bezeichnungen, die allesamt dazu dienen, befremdliche Dinge zu erklären, mit denen wir immer wieder konfrontiert werden. So wird eine ganze Menschenart geleugnet. Sie gilt als ausgestorben, dabei hat sie sich nur versteckt und begleitet uns heimlich auf Schritt und Tritt.«
    »Aber nichts davon ähnelt auch nur im Entferntesten dem Neandertaler«, wandte Tom ein.
    »Richtig. Aus zwei Gründen. Erstens gibt es natürlich keine getreue Überlieferung. Im Lauf der Jahrhunderte, ja Jahrtausende entwickeln sich die Sagen und Legenden nach ihren eigenen Gesetzen und bilden eigene Vorstellungsmuster. Und zweitens vermag der Neandertaler unser Denken zu beeinflussen.«
    »Wie das?«
    »Es heißt, Hals und Mund des Neandertalers seien zur Artikulation von Sprachlauten noch nicht bereit gewesen. Und doch haben sie alle diese kulturellen Leistungen erbracht, also konnten sie sich in einer Weise untereinander verständigen, zu der bloße Körpersprache und Grunzlaute niemals ausgereicht hätten. Deshalb bin ich der Ansicht, dass sie sich zumindest teilweise telepathisch verständigt haben. Und sie tun es immer noch, ganz wie wir. Telepathie ist nichts anderes als eine höher entwickelte Form der Empathie. Wenn sie auf etwas stoßen, was sie für gefährlich halten, zum Beispiel auf uns, dann verwirren sie unseren Geist. Sie spiegeln uns unsere Vorstellungen zurück.«
    »Das ist doch Humbug«, sagte Tom beunruhigt. »Entschuldigen Sie, aber das kaufe ich Ihnen nicht ab.«
    »Wenn ich recht habe und wir nach einem Neandertaler suchen, warum sagen dann alle, Bigfoot sei zwei Meter vierzig groß? Nun, sie zwingen uns die Vorstellung auf, dass sie groß sind, weil groß so viel wie schrecklich bedeutet. Und warum berichten so viele Leute – Sie, Tom, eingeschlossen – von einem penetranten Gestank? Warum sollten andere Wesen einen widerlichen Geruch ausströmen? Dazu besteht überhaupt keine Ursache. Auch hier zwingen sie uns, das anzunehmen, und das ist ein weiterer Schutzmechanismus, ein ganz simpler obendrein. Sie verbergen sich hinter einer Nebelwand von falschen Vorstellungen, die sie in unsere Köpfe pflanzen. Deshalb sind sie so schwer zu finden. Sind wir näher an der Zivilisation, glauben wir, ein Gespenst gesehen zu haben. Hier draußen nimmt man etwas wahr, was ihrer wirklichen Gestalt näher kommt, weil wir im Stillen immer gewusst haben, dass sie noch irgendwo existieren.«
    Tom blieb stehen und sah den Journalisten an. Nun grinste der Mann nicht mehr, im Gegenteil, ihm schien es ganz ernst. Zwar freute es Tom, jemanden zu haben, der an seine Entdeckung glaubte, doch wäre ihm viel wohler gewesen, wenn der Mann an die Existenz einer bis dato unbekannten Primatenart geglaubt und nicht eine Begründung vorgebracht hätte, für die Elfen und Gedankenübertragung bemüht wurden.
    Doch das war jetzt nebensächlich, denn er hatte selbst eine Neuigkeit zu vermelden.
    »Ich habe jede Orientierung verloren.«
     
    Eine Stunde später war es nicht besser. Henrickson hatte sich von der geduldigen Seite gezeigt, war oft in einigem Abstand hinter Tom gegangen, um ihm Gelegenheit zu geben, sich neu zu orientieren. Er solle vorangehen und laut rufen, wenn er sich wieder zurechtgefunden habe. Aber Tom fand sich nicht zurecht. Je weiter er ging, desto unsicherer wurde er. Am Ende blieb er ganz stehen.
    Henrickson rief ihm von hinten zu. »Na, wird es langsam wärmer?«
    »Nein«, sagte Tom, »ich weiß beim besten Willen nicht, wo wir sind.«
    »Macht nichts«, beruhigte ihn Henrickson, als er wieder zu ihm aufgeschlossen hatte. Er holte eine Wanderkarte aus seiner Jackentasche, entfaltete sie und machte mit dem an einer Schnur hängenden Kompass eine Peilung. Anschließend zeichnete er einen kleinen Kreis auf die Karte. »Wir sind ungefähr hier.«
    Tom schaute auf die Karte. »Hier«, das

Weitere Kostenlose Bücher