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Engel des Todes

Engel des Todes

Titel: Engel des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marshall
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Hals tat ihr weh. Die Tür zur Blockhütte, die sie offen gelassen hatte, ächzte hinter ihr im Wind. Sie kam sich nicht töricht vor, vielmehr hatte sie das Gefühl, allen mit Gewalt die Augen zu öffnen, ihnen das Hirn mit einem Stein zu zerschmettern. Von einer Wolke des Schreckens fortgerissen, stieß sie bis ins Herz der Dinge vor. Das Herz der Dinge, die ganze Wahrheit aber lautete:
    Am Leben zu sein, das ist die Hölle, und außer diesem Leben gibt es nichts anderes.
    Sich selbst umzubringen würde bedeuten, sich geschlagen zu geben. Die Truppen des Todes waren größer und härter als die aller anderen. Das war schon immer so gewesen. Der Tod ist der Meister, da gab es keinen Zweifel, und sie wollte nicht auf seiner Seite stehen. Aber auf wessen sonst? Gott konnte man unmöglich noch ernst nehmen. Sie war es leid, für den alten Saftsack Entschuldigungen zu finden, ihm aus der Klemme zu helfen und die schier endlose Liste seiner Fehlleistungen zu kaschieren. Für sie hatte Gott ein für alle Mal abgewirtschaftet, aber der Tod sollte sie auch nicht für ein bisschen Sonne kriegen.
    Wie sie so heiser krächzend am Ufer des kalten Sees stand, in der Hand noch die Whiskyflasche ihres verstorbenen Mannes, da tat sie einen Schwur. Sie wollte, wie man gemeinhin sagt, nie mehr irgendjemandes dumme Kuh sein. Sie wollte niemandem und nichts verpflichtet sein. Keinem Menschen, keinem Gott, keiner Idee und keiner Wahrheit. Es gab nichts, was das wert gewesen wäre, nichts, was Vertrauen verdiente. Früher hatte es in ihrem Leben Bill gegeben. Jetzt gab es da gar nichts mehr.
    Aber zwei Wochen später hatte sie doch etwas gefunden, und zwar im Wald. Oder es war in ihr Leben eingefallen, und daraufhin änderte sie ihre Meinung.
     
    Der Himmel war nun dunkel, und die Oberfläche des Sees schimmerte wie schwarzer Marmor. Es war kalt, Zeit wieder nach drinnen zu gehen. Sie blieb trotzdem noch eine Weile sitzen, denn sie liebte diesen Anblick und fürchtete, dass es nicht mehr lange so bleiben würde. Die beiden Männer waren gegangen, aber sie würden wiederkommen. Nun, so fürchtete sie, musste sie das Einzige verteidigen, woran ihr im Leben noch lag.
    Sie war bereit.

22
    W ir hatten uns im Morisa verkrochen, früher ein vornehmes Hotel im Zentrum von Fresno. Der Kasten schien dafür gebaut zu sein, auch Dauerbombardements zu überstehen. Das imponierte uns. Wir waren in der vergangenen Nacht in der Stadt angekommen und wollten vorerst nicht weiterfahren. Solange wir keinen Plan und kein bestimmtes Ziel hatten, konnten wir viele falsche Richtungen einschlagen. Wir gingen getrennt an die Rezeption und nahmen Zimmer auf verschiedenen Etagen. Jeder verschwand auf sein Zimmer und legte sich schlafen. Früh am folgenden Morgen gingen wir zu Fuß in die City. Wir waren lange ziellos unterwegs und wussten immer noch nicht, was als Nächstes zu tun war. Wenn man nichts kaufen will, kann man sich nicht genug über die vielen Läden wundern. Wer sind diese Leute hier? Was kaufen sie und wozu? Eigentlich sind sie genauso befremdlich wie die zugenagelten Fenster und graffitiübersäten Wände aufgelassener Lagerhäuser. Einmal hatte ich das merkwürdige Gefühl, auf einer Tür einen Schriftzug zu erkennen, doch bei näherem Hinschauen stellte sich heraus, dass der zweite Buchstabe ein B und kein R war. Zumindest glaube ich das, sicher bin ich mir nicht. Ich war schon ziemlich paranoid geworden.
    Später am Morgen gingen wir auf mein Hotelzimmer. Das Zimmer war nicht groß und war schon lange nicht mehr renoviert worden. Ich saß auf einem Stuhl, sie auf dem Bett. Als der Kaffee gebracht wurde, bedienten wir uns.
    Nina bereute, aus L.A. fortgegangen zu sein. Sie wäre am liebsten wieder zurückgefahren. Ich wollte sie aber nicht fortlassen. Ich verstand zwar, dass sie den Eindruck hatte, vor etwas wegzulaufen – tatsächlich war es nichts anderes. Außerdem hatte sie einen Beruf – auch wenn man ihr deutlich gemacht hatte, sie solle ihn vorübergehend nicht ausüben. Dass sie wegen der Beziehung zu einem Mann (noch dazu wegen einer Beziehung, die gar nicht mehr bestand) in diese missliche Lage geraten war, musste sie wie jede Frau in Rage bringen. Aber Nina war nicht irgendeine Frau. Ihr Zorn kam aus der Tiefe. Weil Zandt sie angelogen hatte, war sie so wütend auf ihn, dass sie ihr Handy nicht wieder anschalten würde. Ich hatte mehrmals versucht, ihn zu erreichen, aber am anderen Ende meldete sich nur dieselbe roboterhafte Stimme

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