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Engel des Todes

Engel des Todes

Titel: Engel des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marshall
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irgendeinem Grund dann sein und ging stattdessen wieder zurück.
    Henrickson klopfte zum vierten Mal an. »Niemand zu Hause«, sagte er. »Vermutlich ist sie in Sheffer und genießt die hellen Lichter und die Großstadtatmosphäre. Das ist ärgerlich. Na, egal …« Er schaute auf die Uhr. »Die Zeit bleibt nicht stehen. Sie sagten, nach Aussage der Frau soll die Stelle ein gutes Stück Weg von ihrem Grundstück entfernt sein. Wir schaffen es heute sowieso nicht mehr, bis dorthin und wieder zurück zu kommen.«
    Er trat von der Tür zurück und ging zu einem der beiden kleinen Fenster an der anderen Hüttenseite. Auch diese hatten Vorhänge, aber aus dünnerem Stoff.
    Tom schaute mit Henrickson hinein, konnte drinnen aber kaum etwas erkennen.
    »Das wird heute nichts mehr«, befand Henrickson. »Fahren wir also wieder zurück in die Stadt. Vielleicht können wir die Telefonnummer der Frau ausfindig machen, dann probieren wir es morgen noch einmal. Jetzt habe ich einen Bärenhunger.«
    Sie warfen einen letzten Blick durch das Fenster und machten sich dann auf den Weg zurück zum Tor.
    Erst als die Besucher wieder gegangen waren und das Geräusch des wegfahrenden Autos verklang, bewegten sich die Vorhänge leise.

21
    A ls Patrice sicher war, dass die Männer gegangen waren, schloss sie die Tür auf und trat vor die Hütte. Sie stand eine Weile da und lauschte, hörte aber wie immer nichts. Den Wind im Herbst und das Vogelgezwitscher im Frühjahr ließ sie dabei außer Betracht, denn das waren für sie keine Geräusche.
    Aus den Spuren im Schnee las sie, dass die Männer den Fußweg heraufgekommen und dann um die Hütte gegangen waren. Außerdem schien einer der Männer …
    Sie folgte den Spuren der Schritte, die über die kleine Anhöhe und dann hinab zum See führten. Nach ein paar Metern hörten sie plötzlich auf. Der Mann, sofern er nicht sehr unaufmerksam gewesen war, musste also auch die Hütte auf der anderen Seite des Sees gesehen haben. Dennoch hatte sie nicht gehört, dass er seine Entdeckung dem anderen Mann mitgeteilt hätte. Das musste nichts heißen. Möglicherweise war es ihm einfach nur zu kalt geworden, oder er war aus Langeweile oder Hunger umgekehrt. Es machte sowieso keinen Unterschied. In der anderen Hütte waren nur Werkzeug und Gerümpel. Außerdem haftete da noch die Erinnerung an ein Liebesspiel, zu dem sich Bill und sie an einem Winterabend hatten hinreißen lassen, eigentlich wollten sie nur das Dach der Hütte reparieren.
    Sie ging zum See, an dem der nicht urbar gemachte Teil ihres Grundstücks begann. Ein paar Schritte vom Ufer entfernt setzte sie sich auf die Bank, die sich an den Baum schmiegte, und schaute auf die Eisfläche.
    »Sie kommen wieder«, sagte sie leise. »Was soll ich tun?«
    Er antwortete nicht, wie immer. Er wusste nicht einmal, wovon sie sprach. Aber sie fragte ihn dennoch jedes Mal. Männer möchten gern gefragt werden.
     
    In den Monaten nach Bills Tod lebte Patrice in einer neuen, befremdlichen Welt, in der alles zerbrochen und dann nicht wieder richtig zusammengesetzt schien. Sie erkannte, wie trostlos der Blick in den Kühlschrank war, wenn darin nur die Vorräte für den eigenen Bedarf lagen und die kleinen Überraschungen fehlten, die der andere aus einer Laune heraus mitgebracht hatte. Ihr wurde bewusst, dass Papiere aller Art nicht mit Gekritzel ins Haus kamen, dass Briefumschläge, Kassenzettel und Quittungen nicht von sich aus Bilder von Bäumen, Katzen oder Booten entwickelten. Ohne diese Skizzen sah alles tot aus. Das Schlimmste war vielleicht, dass es keinen Empfänger für bestimmte Mitteilungen mehr gab. Sie konnte zwar mit dem Briefträger eine Tasse Kaffee trinken oder auf dem Markt mehrere Schwätzchen halten, aber wem sollte sie sagen, dass Neds Nase heute komisch aussah, oder wem die Melodie eines Werbespots vorträllern, über den sie sich amüsiert hatte? Bei solchen Sachen dachten die Leute sofort, ach, die arme Oma fängt an zu spinnen, die braucht eine Betreuung. Etwas geschah und war vorüber, wie ein Regentropfen, der auf heißen Asphalt fiel. Niemand außer ihr sah es, ein Videorekorder, der nicht aufnahm.
    Man kämpfte sich durch den Tag und fragte sich, welche Belohnung am Ende wartete. Sehr bald merkte man, dass der Lohn darin bestand, am nächsten Morgen weitermachen zu dürfen. Die Stunden vergingen, und am Ende stand man ohne viel Erwartung da. Eines war klar: Jeder Tag hatte seine Plage. Äußerlich ruhig, wuchs im Innern ein

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