Engel des Todes
begann zu lesen.
Fünf Minuten später hörte ich, wie die Tür des Diners aufging. Ich blickte auf und sah Nina hereinkommen. Britnee versuchte zwar, sie an einen Tisch am Fenster zu platzieren, vermutlich wegen der tollen Aussicht auf die kalte, regennasse Straße, aber Nina blieb hart. Sie verschwand aus meinem Blickfeld, als die Kellnerin sie an ihren Tisch führte, doch eine Minute später hörte ich das Geräusch quietschenden Kunstleders, das von der anderen Seite der Trennwand kam.
Wir saßen eine Zeitlang still an unseren Plätzen. Eine andere Kellnerin kam an Ninas Tisch und fragte, ob sie etwas trinken wolle, und Nina antwortete ihr. Die Akustik war ausgezeichnet.
Ich las flüchtig die Anzeigen für Läden, die mich nicht interessierten, und Restaurants, die sich angeblich seit zig Generationen in Familienbesitz befanden, aber genauso aussahen wie viele andere Lokale auf dem flachen Land. Es war ein komisches Gefühl, dass Nina auf der anderen Seite der Trennwand vermutlich genau das Gleiche tat. Hin und wieder warf ich einen Blick auf die Straße. Nichts geschah.
Da hörte ich plötzlich Nina leise sagen: »Er ist da.«
Ich schaute zur Tür und sah einen athletisch gebauten Mann Ende vierzig. Er trug einen Anzug und einen langen hellbraunen Mantel darüber. Er kam mit raschen Schritten ins Lokal und war schon an Britnee vorbei, ehe sie auch nur die Chance hatte, ihm einen Platz auf der Terrasse anzubieten. Er hatte Ninas Platz offenbar schon von draußen gesichtet.
»Hallo, Charles«, hörte ich gleich darauf.
Jemand setzte sich nebenan. »Warum konnten wir uns nicht im Hotel treffen?«
»Woher wissen Sie, dass ich in einem Hotel abgestiegen bin?«
»Wo sonst sollten Sie sein?«
Es folgte ein langes Schweigen. Dann sagte Nina: »Charles, ist bei Ihnen alles in Ordnung?«
»Nein«, kam die Antwort. »Und bei Ihnen auch nicht. Das Video ist überprüft worden. Es ist nicht gefälscht, und der Mann ist eindeutig John. Auch sein Fingerabdruck auf dem Flaschenöffner in Portland ist nicht gefälscht. Ferner gibt es die Aussage eines Augenzeugen, der gesehen hat, wie ein Mann mit einer jungen Frau, die er halb hinter sich herschleppte, das Haus verlassen hat. Dieser Mann behauptete gegenüber dem Zeugen, die Frau sei betrunken und er bringe sie nach Hause. Das Phantombild, das nach Angaben des Zeugen angefertigt wurde, sieht Zandt unheimlich ähnlich. Auch die Frau bestätigt die Ähnlichkeit. Schließlich habe ich mit Olbrich geredet. Ich weiß, was er für Sie herausgefunden hat. John war an dem fraglichen Abend in Portland.«
»Danke, Doug.«
»Er ist Polizeibeamter und nicht Ihr persönlicher Informationsdienst. Zandt hat Ferillo umgebracht. Das ist eine Tatsache, die Sie akzeptieren müssen, Nina. Er hat auch die junge Frau so heftig geschlagen, dass sie eine Gehirnerschütterung erlitten hat. Ich weiß nicht, was mit Zandt los ist, aber wenn Sie ihn weiter schützen, schaden Sie sich gewaltig.«
»Ihn zu verfolgen, wird Ihnen auch nicht helfen. Sie stecken selbst mit drin.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
In diesem Augenblick passierten zwei Dinge. Erstens kam die Kellnerin mit meinem Chili con carne und servierte es mir in Zeitlupe und unter größtmöglicher Geräuschentwicklung. Außerdem wollte sie eine Unmenge von mir wissen: wo ich wohne, wie es mir in der historischen Stadt Fresno gefalle, ob ich noch Zwiebelringe wünsche, sie könne sie gleich für mich rösten. Ich beantwortete ihre Fragen so rasch und knapp wie nur möglich.
Zweitens – und das geschah auf der anderen Seite der Trennwand – verstummte Nina.
Auch ohne sie zu sehen, war mir klar, dass sie auf die Tischkante starrte und nicht wusste, wie den nächsten Schritt tun. Also entschloss ich mich einzugreifen. Das war ein Fehler. Ich stand auf, ließ mein Essen stehen und ging auf die andere Seite der Trennwand.
Ich griff mir einen Stuhl und setzte mich an den Tisch, an dem sich Nina und Monroe gegenübersaßen.
Monroe saß mich scharf an. »Kann man etwas für Sie tun?«
»Ich denke schon«, sagte ich. »Ich bin mit Nina befreundet und möchte Ihnen die Frage stellen, die Nina auf der Zunge liegt.«
»Nina, kennen Sie den Kerl?«
»Ja.«
»Ihr Name ist Charles Monroe, und ich heiße Ward Hopkins. Ich bin der eine von zwei Menschen, die bestätigen können, was Nina Ihnen heute Abend vielleicht noch sagen wird. Wahrscheinlich bin ich sogar der Einzige, dem Sie zuhören werden, denn ich vermute, dass Ihnen John
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