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Engel des Todes

Engel des Todes

Titel: Engel des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marshall
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der Mann über Tom und hielt ihm das Seil hin.
    »Wir werden dieses Wesen aufstöbern«, sagte er ruhig zu Tom. »Und dann tue ich, was ich mir vorgenommen habe.«
    Mit blutender Nase schaute Tom zu ihm hinauf. Jetzt begriff er, warum Henricksons Stimme so ganz anders klang. Dessen singender Tonfall und die ländlichen Ausdrücke waren verschwunden. Nun war es die Stimme eines Fremden. Mehr noch, es war eine Stimme, die er gewiss sein Lebtag nicht vergessen würde. Diese Stimme sagte, dass der Mann ihn bis auf den Grund seiner Seele durchschaute und alles von ihm wusste. Nicht nur von ihm, sondern von allen Menschen.
    »Sie werden mir helfen, andernfalls zwinge ich Sie, die Frau umzubringen, und das würde Ihnen gewiss nicht gefallen.«
    Tom brachte keinen Ton heraus, er schüttelte nur den Kopf.
    »O doch, Sie werden es tun«, wiederholte Henrickson. »Schließlich wäre es nicht das erste Mal, auch wenn die Umstände anders sind, wie ich zugebe.«
    »Seien Sie doch still«, stöhnte Tom. Die Frau schaute ihn jetzt fest an.
    »Tom hat schon was auf dem Kerbholz«, erzählte Henrickson. »Er war Partner in einer Webdesign-Firma unten in L.A. Alles lief wie geschmiert – schönes Auto, nette Familie und dazu was Außereheliches, eine süße Kommunikationsdesignerin, die an seinen Apple-Rechnern saß. Eines Abends arbeiten sie länger im Büro und genehmigen sich später noch einen Drink. Bei der Heimkehr von ihrer Wohnung fährt Tom bei Rot über die Ampel – so lange kann das noch nicht her sein –, und ein Porsche knallt in die Beifahrertür. Die Designerin sieht aus wie ein später Picasso. Sie stirbt, und mit ihr der kleine Junge in ihrem Bauch, von dem Tom noch gar nichts wusste. Tom ist knapp unter der Promillegrenze, der Porschefahrer zum Glück total betrunken. Tom kommt mit einem blauen Auge davon.«
    »Glauben Sie das?«, rief Tom. Er rappelte sich wieder auf und wischte sich mit dem Ärmel die Nase, obwohl es schrecklich wehtat. »Glauben Sie wirklich, dass ich mit einem blauen Auge davongekommen bin?«
    »Sie leben, die beiden anderen sind tot«, sagte Henrickson. »Da können Sie es sich ausrechnen.«
    Tom wollte auf ihn losgehen, doch der Mann erriet Toms Absicht. Eine schnelle Bewegung, und schon befand sich der Lauf seiner Pistole an Patrice’ Stirn.
    »Ich zwinge Sie, ihr den Rest zu geben, und wenn wir hier fertig sind, lasse ich Sie frei«, sagte Henrickson. »Letztens haben Sie es nicht geschafft, sich umzubringen. Ich bezweifle, dass Sie es noch einmal versuchen. Ich lasse Sie ein, zwei Jahre zappeln, dann besuche ich Sie und erlöse Sie von Ihrem Elend. Vielleicht. Oder wir finden dieses Wesen, wir fotografieren es, und dann entkommt es. Alles wird gut. Sie erhalten die Anerkennung, die Ihnen, wie Sie mittlerweile wissen, kein Weiberrock verschaffen kann. Vielleicht kommt Sarah sogar wieder zu Ihnen zurück.«
    »Woher wissen Sie das alles?«
    »Weil er kein Mensch ist«, flüsterte die alte Frau.
    Henrickson lachte kurz auf. »Tom – wollen Sie ihr jetzt endlich die Hände fesseln?«
    Tom schaute Patrice an. Eine Gesichtshälfte war rot, doch ihre Augen waren klar, und ihr Blick war fest auf ihn gerichtet.
    »Tun Sie es nicht«, bat sie. »Nicht meinetwegen. Wegen denen da draußen.«
    Doch er schaute zur Seite, und als ihn der Strick auf der Brust traf, fing er ihn auf.

24
    W ard, sei doch um Gottes willen still.«
    »Aber es tut weh.«
    »Dann beiß die Zähne zusammen.«
    »Komm mir nicht damit. Das ist was für kleine Jungs. In meinem Alter darf man zugeben, dass es höllisch wehtut.«
    Ich saß auf dem Beifahrersitz, die Füße nach draußen gestellt. Nina hockte vor mir und betupfte mit einem in Desinfektionsflüssigkeit getauchten Verbandsstoff meine Schulter. Ich hatte keine Ahnung, wo wir uns befanden, jedenfalls war das hier der Parkplatz einer Tankstelle am Rand einer Kleinstadt, dessen Namen wir nicht kannten.
    »Die Wunde ist jetzt sauber«, sagte sie. »Hoffe ich.«
    Ich schielte zu meiner Schulter und sah einen klaffenden Riss im Armheber. Es blutete immer noch, aber weniger als während der fünfzig Meilen von Fresno bis hierher. Weh tat es trotzdem, und dabei hatte ich eine Handvoll starker Schmerztabletten geschluckt, die wir neben dem Verbandszeug und dem Desinfektionsmittel in einer Drogerie gekauft hatten. Es war der gleiche Schmerz, den ich aus Kindertagen kannte, als mir ein Rabauke immer wieder mit der Faust so heftig und so schnell auf den Oberarm schlug, dass

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