Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engel des Todes

Engel des Todes

Titel: Engel des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marshall
Vom Netzwerk:
würde.«
    »Woher wissen Sie denn, dass es nicht irgendein Einheimischer war oder dass der Stamm nicht beim Baumfällen liegen geblieben ist?«
    »Weil in diesem Gebiet noch nie gefällt wurde, und außerdem ist es unwahrscheinlich, dass ein Holzfäller mit Steinwerkzeugen gearbeitet hat.« Er schaute Patrice an. »Nur ein umgestürzter Baum?«
    »Ich kann nichts anderes erkennen. Vielleicht sehen Sie ja etwas, was es in Ihrer Vorstellung aber nicht hier vor unseren Augen gibt. Viele Leute sind so.«
    Er lief über den Steg zurück und lächelte noch einmal. Mit den Augen suchte er die Schlucht ab.
    »Ganz wie Sie wollen. Aber gehen wir noch ein bisschen weiter. Mal sehen, was wir noch entdecken.«
    Sie marschierten weitere zehn Minuten hart am Rand der Schlucht entlang. Die Wände wurden steiler und tiefer, das Wasser unter im Flussbett, obwohl noch winterlich karg, schwoll, durch Wasserfälle gespeist, stetig an.
    Oben auf dem Bergkamm angelangt, entfuhr Tom ein Keuchen. Zu seinen Füßen gähnte ein Abgrund. Auf der Linken ergoss sich der Fluss über fünfzig Meter tief in eine breite Felswanne. Gegenüber dehnte sich der Wald wie ein schneebetupfter grüner Teppich Richtung Kanada und darüber hinaus. An dem Rest blauen Himmels über ihnen hing der schmale Kondensstreifen eines Flugzeugs. Das war das einzige Zeichen technischer Zivilisation, alles Übrige sah aus, als hätte hier nie ein Mensch seinen Fuß hingesetzt.
    Tom sah, wie eine Wolke die letzte Lücke am Himmel schloss und alles grau wurde. Er senkte den Blick und schaute wieder über den Wald.
    »Schön ist es hier«, sagte er.
    »Jetzt stellen Sie sich vor, dass es sonst nichts anderes gäbe«, sagte Henrickson fast beschwörend. Er stand dicht neben ihm. »Eine Welt ohne Menschen.« Tom wiegte den Kopf bei dem Gedanken an eine Welt vor jedem menschlichen Laut. Er fuhr fort, nur stumm den Kopf zu wiegen, und dabei traten ihm, ohne dass er wusste warum, Tränen in die Augen.
    »Ich möchte Ihnen danken, Tom«, sagte Henrickson in anheimelndem Tonfall, ganz so, als ob er wieder der Gefährte wäre, den Tom zu kennen glaubte. »Sie haben sich wirklich Mühe gegeben, und es war keine leichte Zeit für Sie. Und das Komische daran ist, Tom, ich war wirklich froh, einen Menschen zu haben, mit dem ich sprechen konnte.«
    Tom nickte jetzt zustimmend. Er hob den Kopf und sah verschwommen die Gestalt der alten Frau, deren Hände im Rücken gefesselt waren. Sie lächelte ihm traurig zu und schaute zur Seite.
    Da legte Henrickson eine Hand auf Toms Schulter und stieß ihn über den Rand.
    Ein Gefühl, als kippe etwas, der falsche Glaube, unter ihm sei nichts mehr, als ob er wieder auf dem Steg wäre, ohne die Hilfe der Stimme im Kopf. Dann die Schwerelosigkeit des freien Falls, ehe ihn die ersten Hindernisse bremsten. Diesmal war es kein Rutschen und Schlingern, sondern mehrmals hintereinander ein kurzer, knochenbrechender Aufprall. Noch eine kurze Strecke im Sturz, dann landete er wie ein weggeworfenes Glas.
    Eingekeilt zwischen zwei Felsen hing er, von einem bemoosten Felsgesims geschützt, zehn Meter über dem Boden. Er versuchte etwas zu sagen, brachte aber nur ein Gegurgel hervor. Sein Körper war verdreht und zerschlagen, die Kleider waren zerrissen und blutbefleckt. Mit dem linken Bein musste etwas Furchtbares passiert sein. Kaltes Wasser lief ihm über die Füße und die ausgestreckte linke Hand, doch er spürte davon nichts. Obwohl er einen Schädelbruch hatte, konnte er noch sehen und den rechten Arm ein wenig bewegen.
    Die folgenden zwanzig Minuten verbrachte er damit, sein Handy aus der Jackentasche zu holen und mühsam mit einem Daumen, der abwechselnd zitterte und seinen Dienst versagte, eine Textmitteilung einzutasten. Er kam nicht weiter als:
    Habe Bigfoot gesehen. Ich lieb
    Dann starb er. Hier in der Gegend gab es keinen Netzfunk.
     
    Hundert Meter höher schaute Patrice düster zu dem Mann hinüber.
    »Mussten Sie das wirklich tun?«
    »Ja. Ich erwarte allerdings nicht, dass Sie das verstehen.«
    »Wollen Sie mich auch in die Schlucht werfen?«
    »Ein Menschenopfer reicht. Im Übrigen müssen Sie noch etwas für mich tun.«
    »Ich kenne nur diese Stelle, und weiter kann ich nicht. Wenn Sie auf Bären aus sind, müssen Sie selber welche finden.«
    Der Mann schüttelte den Kopf. »Ich glaube Ihnen nicht. Wenn es so weit ist, werde ich Sie schon zum Sprechen bringen. Vorerst aber gehen wir zurück zu der Stelle am Fluss, wo Tom seinen ›Bären‹

Weitere Kostenlose Bücher