Engel des Todes
kälter.
Wir bogen gleich hinter einem Kaffeestand auf eine Straße ab, die keinen Namen zu haben schien. Wir fuhren noch keine dreißig Sekunden auf der neuen Straße, als die Stimme des uns folgenden Kollegen aus dem Funkgerät kam.
»Chef, Sie haben die falsche Abbiegung genommen«, erlaubte er sich zu sagen. »Nach Cascade Falls kommt erst noch …«
»Achte auf die Straße und bleib hinter mir«, gab ihm Connelly Bescheid. »Wir nehmen einen anderen Weg.«
Wir fuhren viel länger, als ich erwartet hatte. Nach meinen Berechnungen wohnte die Frau, die wir besuchen wollten, auf einem Grundstück, das nicht allzu weit von der Landstraße entfernt lag. Die Straße, auf der wir jetzt fuhren, schien nirgendwo hinzuführen.
Nach zwanzig Minuten verengte sie sich zu einer Spur. Connelly fuhr langsamer, zumal nun auch Schnee auf der Fahrbahn lag. Zu beiden Seiten säumten hohe Bäume die Straße, ohne dass Schilder auf private Sponsoren für die Instandhaltung der Verkehrswege hinwiesen. Und immer tiefer ging es in den Wald. Ich schaute hin und wieder durch das Heckfenster und sah, dass Connellys Kollege uns brav folgte. Obwohl er Sicherheitsabstand wahrte, konnte ich die Verblüffung in seiner Miene gut erkennen.
Dann nahm Connelly plötzlich den Fuß vom Gas. Er spähte durch das Fenster der Beifahrerseite. Ich schaute zu Nina hinüber.
»Sheriff – kennen Sie auch wirklich den Weg?«
»Selbstverständlich«, sagte er. »Im Übrigen sind wir da.«
Er stellte den Motor ab und stieg aus. Nina und ich folgten seinem Beispiel. Bäume und dichte Sträucher versperrten auf beiden Seiten den Blick, der Boden wies eine geschlossene Schneedecke auf. Dass die Straße nach gut fünfzig Metern ganz aufhörte, machte den Ort noch verlassener.
Phil hatte gleich hinter uns geparkt. »Chef, wo sind wir hier eigentlich?«
»Das ist das Ende eines alten Forstwegs«, sagte Connelly. Er zeigte auf die Bäume hinter mir. »Schauen Sie.«
Wenn man genau hinsah, konnte man etwa zehn Schritte entfernt und versteckt hinter Bäumen die Trümmer eines Gebäudes erkennen.
»Aha«, sagte ich. »Warum gerade dieser Weg?«
Connelly legte sich sein Gewehr über die Schulter und machte sich bereit. »Vor ein paar Tagen habe ich mit Mrs. Anders geredet«, erläuterte er. »Sie hat Mr. Kozeleks Rucksack gar nicht an der Stelle gefunden, die sie angegeben hat. Weil er einen so verwirrten Eindruck machte, wollte sie nicht, dass er sich noch einmal dorthin begibt. Aber mir hat sie eine Beschreibung der Stelle gegeben. Wenn Henrickson sie in seine Gewalt gebracht hat, was ich vermute, dann wird er sie zwingen, ihn dorthin zu führen.«
»Ist es in der Nähe?«
»Nein«, sagte er knapp und stapfte in den Wald hinein. Vor uns standen die Bäume nicht so dicht, sie sahen auch jünger aus. Offenbar war das hier ein alter Holzweg, der nun zugewachsen war. »Zuerst nehmen wir diesen Weg hier. Später wird es dann mühsam.«
Für Nina und mich war es von Anfang an schwierig.
Es schien ständig bergan zu gehen. Nach einer Stunde konnte von einem Weg keine Rede mehr sein. Ich achtete gar nicht mehr richtig darauf. Wir gingen unter hohen Bäumen steil bergan. Da ich kein Wanderfreak bin, wie ich schon gegenüber Zandt gesagt hatte, wurde es mir bald sauer. Wegen der Schneedecke wusste man nicht, wie das Terrain beschaffen war. Teils war es steinig, teils gab es Stellen, wo man plötzlich bis zu den Knien einsackte. Auch wurde es wegen der dichten Wolken langsam dunkel. Wenigstens regnete es nicht. Schon beim Losgehen war es kalt gewesen, doch das kam mir nun vergleichsweise mild vor. Dass Kozelek zwei Tage in dieser Kälte überlebt hatte, grenzte an ein Wunder. Nicht weniger wunderbar war die Entschlossenheit der ersten Siedler, die Straßen durch diese Wildnis gebaut haben. Wir Menschen wollen immer auf die andere Seite gelangen. Dafür haben wir unsere Sägen und Bulldozer, und daran setzen wir unseren Schweiß. Doch wir brauchen uns nur umzudrehen, dann sehen wir, dass die Wildnis uns nachgekrochen kommt, und zwar ziemlich rasch.
»Alles in Ordnung?«
»So halbwegs«, sagte ich. Nina und ich gingen ein paar Meter hinter den beiden Polizisten. »Und bei dir?«
»Alles bestens. Aber unglaublich kalt.«
Und hungrig und müde waren wir auch. »Sind wir bald da?«, fragte ich den Sheriff.
»Nein«, gab er, ohne sich umzudrehen, zur Antwort. »Das ist erst der halbe Weg.«
»Um Gottes willen«, stöhnte Nina leise. »Ich mag diese
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