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Engel des Todes

Engel des Todes

Titel: Engel des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marshall
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Kraxelei nicht. Es nervt.«
    Wir stiegen weiter bergan. Ich erzählte jetzt Nina von Johns Verschwörungstheorie, die er mir in der Nacht zuvor aufgetischt hatte. Sie war wie ich der Meinung, dass es sich anhörte, als hätte er den Verstand verloren. Doch es ist komisch. Hört man davon zum ersten Mal, klingt es befremdlich und schräg und ohne allen Sinn. Beschäftigt man sich aber eine Weile damit, so scheint es, als ob die anderen Gedanken zusammenrückten und Platz für das Neue machten. Die Verbindung zwischen Serienmord und einer pervertierten Opferhandlung war leicht nachzuvollziehen. Eine solche Theorie hatte etwas Bestechendes. Schwieriger fand ich die Ansicht, dass jeder mysteriöse Gewaltausbruch in Amerika auf das Konto der Straw Men gehen sollte. Doch vieles an ihnen sprengte jedes menschliche Maß. Wenn also doch etwas daran war?
    Nach einer Weile redeten wir nicht mehr, hauptsächlich weil uns die Puste ausging. Auch Phil schien zu kämpfen, nur Connelly schritt weiterhin gleichmäßig aus. Vier Menschen, die jeder in einem anderen Rhythmus keuchend atmeten, und vier Paar Stiefel auf knirschendem Schnee, das ergab zusammen ein lautes Geräusch. Das blendende Weiß des Schnees vor den Augen übte eine hypnotische Wirkung auf mich aus. Ich dachte an nichts mehr, sondern achtete nur noch auf den nächsten Schritt, auf den nächsten Felsen zu meiner Orientierung. Ich spürte das Auf und Ab des Geländes und sog in der kristallklaren Luft den Geruch von Kiefernnadeln und Borke ein. Mein Gesicht wurde gefühllos, ich spürte nichts mehr, wenn ich mir die Haut dort rieb, und bei jedem Blinzeln blitzte es vor meinen Augen. Ich kam immer häufiger ins Stolpern, und Nina ging es genauso.
    »Halt.«
    Connelly sprach das Wort leise, aber gebieterisch aus.
    Wie aus einer Trance gerissen, hob ich den Kopf und blieb augenblicklich stehen. »Sind wir da?«
    Er drehte sich um und schaute uns an, antwortete aber nicht. Dann wanderte sein Blick zurück in den Wald, woher wir gekommen waren. Nach dem langen Marsch empfand ich die Stille als geradezu dröhnend laut, meine Ohren klingelten.
    »Was haben Sie gehört?«, fragte Nina.
    Connelly blieb noch einen langen Augenblick stumm. »Nichts«, sagte er schließlich. »Aber ich habe etwas gesehen. Habe mich umgedreht, um zu schauen, ob Sie beide noch mithalten. Ich hatte den Eindruck, einen Schatten ungefähr vierzig Meter weiter links zu sehen.«
    »Schatten gibt’s hier viele«, warf ich ein. »Es wird allmählich dunkel.«
    »Mag sein«, sagte er bloß.
    Und zu seinem jungen Kollegen gewandt: »Unsere Freunde hier wissen von einem weiteren Verfolger, der es auf Henrickson abgesehen hat. Möglicherweise hält er sich auch in der Gegend auf.«
    »Ach ja?«, sagte Phil argwöhnisch. »Und wer soll das sein?«
    »Ein ehemaliger Polizist. Der Upright Man hat ihm und seiner Familie übel mitgespielt«, erläuterte Nina. Sie ging ein paar Schritte in die Richtung, in die Connelly schaute, und lugte zwischen den Bäumen hindurch. »Er will ihn genauso zur Strecke bringen wie wir.«
    »Ist der Mann gefährlich?«
    Ich nickte. »Aber hoffentlich nicht für uns.«
    Für uns alle unerwartet rief Nina plötzlich laut. »John! Bist du hier?«
    Vier Augenpaare suchten angespannt den Raum zwischen den Bäumen ab. Doch nichts bewegte sich.
    Sie versuchte es nochmals. »Wenn du hier bist, John, dann zeig dich jetzt. Wir wollen ihn auch. Mach keinen Fehler und komm mit uns.«
    Nichts rührte sich. Nina schüttelte den Kopf.
    »Nur Schatten«, sagte sie. Dann blickte sie mit einem Stirnrunzeln zum Himmel hinauf. »Und jetzt fängt es auch noch an zu schneien.«
    Sie hatte recht. Von oben rieselten kleine weiße Flocken.
    »Es wäre besser gewesen, Sie hätten nicht gerufen«, sagte Connelly. »Der Schall pflanzt sich hier sehr weit fort. Besser, Henrickson weiß nicht, dass wir kommen.«
    »Oh, das weiß er mit Sicherheit«, sagte sie. »Stimmt’s, Ward?«
    »Ja. Und ich muss Sie warnen, Sheriff, ihm ist das gleich. Er wird weder weglaufen noch sich verstecken, sondern das tun, was er sich vorgenommen hat.«
    Der Polizist langte über die Schulter, nahm sein Gewehr in die Hand und schaute auf mich herab. Obwohl er zehn, fünfzehn Jahre jünger war, als mein Vater gewesen wäre, wenn er noch lebte, hatte er doch etwas an sich, was mich an meinen Vater erinnerte.
    Einen nüchtern abschätzenden Blick und eine Haltung, für die es klein beigeben einfach nicht gab.
    »Nun«, sagte er, »dann

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