Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engel des Todes

Engel des Todes

Titel: Engel des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marshall
Vom Netzwerk:
Armen fest. Jemand kniete sich neben den Mann, auf den ich eingeprügelt hatte, und versuchte, seinen Kopf vom nassen Straßenpflaster aufzuheben. Trotz seines blutüberströmten Gesichts erkannte ich, dass er erheblich jünger war, als ich gedacht hatte, höchstens Mitte zwanzig. Neben ihm kniete eine Frau. Sie sah zu mir herauf, und da erkannte ich die Wirtin des »Cambridge«.
    »Mistkerl«, zischte sie mich an.
    »Jetzt fühlen Sie sich aber groß, wie?« Diese Stimme kam von rechts hinter mir. Ich drehte den Kopf und sah ihren Mann, den Wirt.
    »Was soll der Scheiß?« Mehrere Leute aus der Bar standen um mich herum. »Er hat mich in der Bar beobachtet«, verteidigte ich mich. »Er hat hier draußen gestanden und mir aufgelauert.«
    Die Frau richtete sich auf. »Ricky ist schwul«, sagte sie.
    »Wie?«, keuchte ich mit heißem Gesicht.
    Ihr Mann ließ meinen Arm los. »Wollten Sie ihm eine Lektion erteilen? Können Sie Männer wie Rick nicht ertragen?« Er trat einen Schritt zurück, als ob ich ansteckend wäre.
    »Hören Sie«, begann ich, doch keiner hörte mir zu. Die kraushaarige Sängerin hatte dem jungen Mann auf die Beine geholfen und führte ihn nun zurück in die Bar. Die Frau bedachte mich mit einem verächtlichen Blick, wollte etwas sagen, schüttelte aber nur den Kopf. Noch bei keiner Frau, mit der ich nicht im Bett gewesen war, hatte ich mich so klein gefühlt. Eine Hand fürsorglich auf den Rücken des jungen Mannes gelegt, ging sie mit den anderen davon. Viel zu spät begriff ich, dass es gewiss seine Mutter war.
    Jetzt war ich allein mit ihrem Ehemann.
    »Ich habe das nicht gewusst«, sagte ich.
    »Sie hätten ihn fragen können.«
    »Sie können sich nicht vorstellen, was für ein Leben ich führe.«
    »Nein.« Auch er schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht und will es auch gar nicht wissen. Ich weiß auch nicht, wo Sie zu Hause sind. Aber jetzt sollten Sie verschwinden. Sie sind hier nicht willkommen.«
    Er ging zur Bar zurück. Als er die Tür aufmachte, wandte er sich noch einmal mir zu: »Und es würde mich wundern, wenn Sie überhaupt irgendwo willkommen wären.«
    Hinter ihm fiel die Tür zu, dann rauschte nur noch der Regen.
     
    Nietzsche sagte einmal, Männer und Frauen mit Charakter erleben immer wieder die gleichen Dinge, sie machen Erfahrungen, nach denen sie sagen müssen: »Ja, so bin ich.« Zumindest glaube ich, dass es Nietzsche gesagt hat, aber es könnte auch Homer Simpson gewesen sein. Wer von ihnen es auch war, gewiss hatten sie etwas Positiveres im Sinn als Prügeleien in Ortschaften, von denen keiner je gehört hat, und Anfälle von Paranoia auf dem Rücken von Leuten, die es nicht verdient haben. Mir war das Gleiche am Abend der Beerdigung meiner Eltern passiert. Damals zog ich in einer Hotelbar plötzlich meine Waffe und jagte ein paar Geschäftsheinis und mir selbst einen tüchtigen Schrecken ein.
    In Relent begriff ich endlich, dass ich so nicht weiterleben konnte. Drei Monate zuvor hatte mir eine Frau gesagt – eine Frau, die aus eigener Erfahrung wusste, wozu der Mann, der sich Upright Man nannte, fähig war –, dass ich der Einzige sei, der diese Aufgabe übernehmen könne. Ich musste aufhören wegzulaufen. Stattdessen sollte ich kehrtmachen und die Verfolgung aufnehmen.
    Um vier Uhr am Nachmittag des folgenden Tages war ich in San Francisco, und am Ende des Abends hatte ich endlich eine Spur.

3
    D ie Morgendämmerung fand Tom durchgefroren und mit irrem Blick am Fuß eines Baumes kauernd. Da saß er und hätte gern die Zeit zurückgedreht, doch dazu war er zu wach. Der Morgen würde ihm nicht versagt bleiben, auch wenn er nicht damit gerechnet hatte, einen weiteren Tag zu leben.
    In der Nacht zuvor war alles sehr rasch gegangen. Kaum erwacht, fand sein Stammhirn sofort das Fluchtpedal und drückte es mit aller Kraft durch. Fehlfunktionen in anderen Hirnzentren waren dadurch ausgeschlossen, und Tom wälzte sich schon herum, ehe er auf die Beine kam. Mit dem Bewusstsein stellte sich die Erkenntnis ein, in welch chaotischem Zustand er war, doch dann schlug ihm wieder dieser Geruch entgegen, und schon schallte es wie Alarmglocken aus dem Sprachzentrum: Bär! Bär! Bär! Da war er schon auf der Flucht.
    Zuerst bewegte er sich mehr auf allen vieren als auf zwei Beinen, aber die Furcht vor messerscharfen Krallen verhalf ihm bald zum aufrechten Gang. Mehrmals prallte er an den Wänden der Schlucht ab, bis diese immer niedriger wurden. Er krabbelte über den

Weitere Kostenlose Bücher