Engel des Todes
Waldbrand zerstört worden. Ein Erdstoß, und ihre Terrasse würde irgendwo im Pazifik landen; zwei Erdstöße, und das Haus würde denselben Weg nehmen. Erstaunlicherweise hatte diese Aussicht sie nie sonderlich beunruhigt. Manche Leute rauchten. Nina saß auf ihrem »Sonnendeck«.
Den bisherigen Tag hatte sie auf Straßen, in Büros und am Telefon damit verbracht, eine Flut von Informationen zu filtern und von immer neuen Ergebnissen der gerichtsmedizinischen Untersuchung zu hören. Nichts davon hatte eine brauchbare Spur ergeben. Der Schlafanzug des Opfers war in einem Wal-Mart gekauft worden, keine erfreuliche Nachricht, wenn man die Geschichte eines Objekts zurückverfolgen muss. Die Festplatte, die im Mund der Frau gesteckt hatte, war noch in der Untersuchung; eine Aufnahme ihres Gesichts diente Polizisten überall in der Stadt als Fahndungsfoto. Es konnte ewig dauern, bis sie einen Hinweis bekamen. Eine Frau, früher einmal attraktiv, aber jetzt tot, davon gab es reichlich.
Wieder in der Wohnung, hatte der Anrufbeantworter gemeldet, dass eine Nachricht eingegangen war. Sie drückte auf die Taste und hoffte, Zandt könnte diesmal eine brauchbare Antwort gegeben haben. Es war aber nicht Zandt, sondern ihre Freundin Meredith, ein Mädchen, mit dem sie früher aufs College gegangen war. Ja, sie finde auch, es sei höchste Zeit, wieder einmal gemeinsam essen zu gehen und sich so richtig auszuquatschen. Nina erinnerte sich nicht daran, mit ihr darüber gesprochen zu haben, sah aber ein, dass es Zeit sei. Es war ein Jahr her, dass die lose kleine Gruppe ihrer alten Freundinnen sich das letzte Mal getroffen hatte. Merry wohnte im Valley und war offenbar ohne Schwierigkeiten, als hätte sie sie bei einem Preisausschreiben gewonnen, zu einem Ehemann und drei kleinen Kindern gekommen. Sie legte nun großen Wert auf Dinge, die Nina entweder banal oder unverständlich oder schlicht belanglos fand. Auch ihre Frisur versteinerte unwiderruflich. Bald würde man sich beim Anblick des Gesichts darunter nicht mehr an die Zeiten erinnern, als Nina und Merry sich vor Lachen kringelten, während sie auf Partys ihrer Professoren in kleinen, mit Büchern vollgestopften Wohnungen verschiedene Kostümierungen ausprobierten. Das junge Mädchen von damals war verschwunden, als es vor langer Zeit dem Ruf der Happy Hour in irgendeiner Bar nachgegeben hatte, und hatte an seiner Stelle Mutter Meredith Jackson zu ihren Verabredungen geschickt. Diese Frau war sicherlich genauso verblüfft über Ninas jetzige Inkarnation, die wie eine Frau aussah, ohne die Anforderungen dieser Rolle zu kennen. Nina wusste, dass sie die Freundschaft nicht einschlafen lassen durfte, fragte sich aber dennoch, warum beiden eigentlich daran lag. Vielleicht mochte Meredith ja die Vorstellung, eine FBI -Agentin als Freundin zu haben. Vielleicht dachte Nina gern daran, noch eine Verbindung zum normalen, alltäglichen Leben zu haben und dass es außer der Welt aus Mördern, Schreibtischen, Männern in Anzügen und Arbeit bis spät in die Nacht auch noch einen Menschen gab, der von ihr nur ein bisschen Klatsch, Zustimmung und ein Lächeln wollte.
Sie hatte sich nicht aufraffen können zurückzurufen und dachte stattdessen nach. Am Ende fragte sie sich, welcher Unterschied zwischen Merry, ihr selbst und der jungen Frau bestand, die man heute Morgen im Knights gefunden hatte. Wie anders musste ein Leben verlaufen, um tot in einem Motel aufgefunden zu werden, im Zigarettenrauch von Männern, die hergekommen waren, um die letzten Augenblicke eines Lebens zu dokumentieren und vor tauben Ohren über die letzten Sportnachrichten zu diskutieren oder eine Bemerkung über die Titten des Opfers zu machen? John Zandt, der früher bei der Mordkommission in L.A. gewesen war, ehe ihm der sogenannte Botenjunge die Tochter nahm, hatte ihr vor langer Zeit einmal erklärt, wie rasch in Hollywood das Leben eines Jugendlichen eine Entwicklung von A nach B und von B nach Z nehmen könne, um unvermittelt mit einem Leichenkärtchen am Zeh zu enden. Die Jugendlichen wüssten gar nicht, wie rasch das gehe. Das sei keine Sache von Jahren, sondern von Monaten und Wochen, ja manchmal könne es sogar über Nacht kommen. Sie beginnen den Abend als geliebtes und verhätscheltes Kind, und am folgenden grauen Morgen erwachen sie all dessen beraubt, was sie an ihrem Leben bisher noch gar nicht zu schätzen gewusst hatten. Alle glauben, der Star zu sein, aber in Wirklichkeit sind sie nur Kanonenfutter,
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