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Engel des Todes

Engel des Todes

Titel: Engel des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marshall
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worden. Bei Ted Bundy zum Beispiel. Es kann ein Mittel sein, sich zu öffnen. Die Theorie, die dahintersteckt, besagt, dass die Täter dadurch in die Lage versetzt werden, Verbrechen zu beschreiben, von denen sich andere Teile ihrer Persönlichkeit distanzieren möchten. In Bundys Fall war es so, dass er bloß hypothetisch über etwas sprechen konnte – ich stelle mir vor, dass ein Mörder das und das in dieser Situation tun würde –, ohne Verantwortung zu übernehmen. Steckt in der Textdatei selbst irgendein Hinweis?«
    »Leider nein«, sagte Vince. »Die Festplatte ist gängiges PC -Format, aber die Dateien geben keinen Hinweis darauf, welches Betriebssystem benutzt wurde: Sie können auf jeder beliebigen Maschine geschrieben worden sein, vom Superrechner bis zum Palm-Computer. Eine Etage unter uns sitzt ein Mann und prüft die Verzeichnisstruktur durch, aber wir sind nicht sehr optimistisch. Die Festplatte ist sorgfältig gelöscht worden, ehe diese beiden Dateien darauf gespeichert wurden. Der Betreffende kennt sich mit Computern aus.«
    »Was auch wieder eine nützliche Information sein könnte«, bemerkte Monroe.
    »Und was für eine«, sagte Nina. »Wir dürfen also annehmen, dass er unter fünfzig ist und irgendwo in der westlichen Welt lebt.«
    Monroe sah sie leicht irritiert an. Nina fand, dass es keine schlechte Idee wäre, jetzt wieder nach Hause zu gehen.
    »Eine Kopie ist bei den FBI -Experten in Quantico, die für die Erstellung von Psychogrammen zuständig sind«, erläuterte Monroe. Er sprach jetzt etwas lauter als gewöhnlich. Mit ernster Stimme, engagiert, professionell, aber auch mit einem Anflug von Leidenschaft. Das war zu erwarten. Wem die Verfolgung böser Buben keinen Kick gab, der ging auch nicht zur Polizei. Doch seit ihrem ersten gemeinsamen Fall, als sie einen Mörder namens Gary Johnson jagten, der einige Jahr zuvor in Louisiana sechs ältere Frauen umgebracht hatte, bestanden für Nina keine Zweifel, dass Monroe noch andere Ziele hatte. Das Lösen von Kriminalfällen war ein Mittel zu einem höheren Ziel. Worin dieses Ziel bestand, konnte sie nicht erkennen – war es ein politisches? Wollte er das repräsentativste Büro in ganz Amerika besitzen? –, aber sie wusste, dass es ihn mehr anspornte, als einem Angehörigen des Opfers verkünden zu dürfen: »Wir haben den Kerl erwischt, und er kommt für immer hinter Gitter.« Vielleicht war das gar nicht so dumm. Nina hatte bisher nur wenige Male etwas Vergleichbares sagen dürfen, aber die versteinerten Gesichter ihrer Gegenüber hatten sich kaum aufgehellt. Sechs Mütter und Großmütter haben vor ihrer Zeit und auf entsetzliche Weise sterben müssen; der Schuldige kommt für den Rest seines Lebens in eine Zelle aus Beton. Das scheint kein gerechter Ausgleich zu sein. Gewiss, keiner geht gern ins Gefängnis, und schon gar nicht nach Louisiana, vor allem wenn man zwei schwarze Frauen umgebracht hat. Wer will sich schon jeden Morgen beim Aufwachen auf schmaler Pritsche fragen, ob heute wohl der Tag ist, an dem einem von irgendeinem Spinner, der seine Mama lieb hat, das Gesicht mit einem geschärften Löffel ruiniert wird, nur um den übrigen Gefängnisinsassen eine Abwechslung zu bieten. Nina glaubte zwar nicht, dass die meisten Mörder die ganze Schwere der Haft überhaupt spürten, einfach weil sie die Dinge nicht wie alle anderen Menschen erlebten. Doch wie dem auch sei, auf jeden Fall lebten sie. Sie aßen, schliefen, hatten Stuhlgang. Sie sahen fern, lasen Comics. Sie nahmen an Kursen teil und meldeten sich tagein, tagaus beim Appell, was eine gewaltige Vergeudung von Zeit und Steuergeldern bedeutete. Das war selbstverständlich ihr gutes Recht. Sie brauchten jedoch nicht in einer Grube zu liegen, allein und nur mit dem Geräusch der sich allmählich setzenden Erde. Sie schliefen nicht mit enganliegenden Armen in einer Kiste, die ihre Kinder nicht bezahlen konnten und die allmählich über und unter ihnen wegfaulte.
    Ja, vielleicht machte Monroe es wirklich vernünftig. Nimm den gerechten Kampf auf. Steig die Karriereleiter empor. Dann geh heim zu deiner Frau und gönne dir ein gesundes Abendessen vor dem Fernseher. Wer weiß, vielleicht kommst du sogar als Retter der Welt in den Spätnachrichten. Das wäre doch nett. Tatsache war jedoch, dass das FBI eigentlich nicht die Aufgabe hatte, bei Serienmorden zu ermitteln. Monroe mischte aus Karrieregründen mit. Und sie? Was war denn ihre Entschuldigung?
    »Fahren Sie nach Hause,

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