Engel des Todes
Genuss nicht enden wollender Schmähreden. Glücklicherweise war er ganz in seine persönliche Dialektik verstrickt, so dass ich keine Sprechrolle übernehmen musste. Ich sagte hin und wieder »hmhm« und »richtig« und betrachtete durchs Wagenfenster, wie die Stadt und ihre Vororte an mir vorüberzogen.
Ich hatte bei der Sozialbehörde angerufen und hoffte, Mrs. Dupree sprechen zu können. Das stellte sich als vergebliche Hoffnung heraus. Ich hätte mein Glück früher am Morgen versuchen sollen. Ich hatte daher keine Ahnung, wer die Person war, der ich einen Besuch abstatten sollte. Immerhin hatte ich aus dem Internet erfahren, dass die Telefonnummer einer Mrs. Campbell gehört, und auch ihre Adresse war mir nun bekannt. Das gehört zu den Dingen, auf die ich mich verstehe. Ja, Muriel hatte sicherlich gewollt, dass ich vorher dort anrufe, mir die Erlaubnis zu einem Besuch hole, mein Begehr nenne, mit einem Wort: mich zivilisiert benehme. Von wegen. Ich wusste nicht, wer die Person war, und auch nicht, was sie mir nach Muriels Meinung zu sagen hätte, aber nach meiner begrenzten Erfahrung in solchen Dingen kommt man der Wahrheit am nächsten, wenn man nicht ankündigt, dass man kommt, um ein wenig auf den Busch zu klopfen. Und ich weiß, wovon ich rede. Ich habe Bobby kennengelernt, als ich für die CIA arbeitete.
Unterdessen hatte der Taxifahrer mit seinen Tiraden aufgehört und warf einen Blick auf den Stadtplan. Wir entfernten uns immer weiter von den Durchgangsstraßen und kamen in ein aufgelockertes Wohngebiet. In dem Viertel wohnten Weiße, die Gegend war aber schon etwas heruntergekommen und entsprach nicht dem Traum eines Immobilienmaklers. Wir kurvten in der Gegend herum, bis ich mir schließlich den Stadtplan schnappte und die Führung übernahm. Wir fuhren eine Straße halb hinauf, wo auf beiden Seiten Holzhäuser auf kleinen Grundstücken standen.
Ich stieg aus und zahlte. Ringsum keine Menschenseele zu sehen.
»Wenn Sie sich amüsieren wollen, sind Sie hier falsch«, bemerkte der Fahrer und fuhr dann weiter.
Ich wartete, bis er nicht mehr zu sehen war, dann ging ich fünfzig Schritte den Weg zurück, den wir gekommen waren, weil ich absichtlich nicht die richtige Adresse angegeben hatte. Zwei Ecken weiter lag die Straße, in die ich eigentlich wollte, und nach drei Minuten zu Fuß stand ich vor dem Haus, das ich gesucht hatte.
Ich ging einen Gartenweg hinauf und nahm die zwei Stufen bis auf die Veranda. Das Holz war vor ein paar Jahren weiß gestrichen worden und brauchte bald wieder einen neuen Anstrich. Ich suchte eine Klingel, fand keine und klopfte. Ich zweifelte nicht daran, dass die Frau zu Hause war.
Nach ein paar Minuten hörte ich ein Geräusch hinter der Tür, dann wurde geöffnet. Im Dunkel des Flurs stand eine kleine Gestalt.
»Mrs. Campbell?«, fragte ich.
Sie antwortete nicht, öffnete aber die Zwischentür halb. Durch den Spalt sah ich eine etwa siebzigjährige Frau, die noch Wert auf eine gepflegte Frisur legte, auch wenn sie eine graue Gesichtsfarbe und Tränensäcke unter den Augen hatte. Sie machte einen schockierten Eindruck, sah mir in die Augen, musterte mich von oben bis unten und schaute mir wieder in die Augen.
»Gütiger Gott«, sagte sie schließlich, immer noch gebannt starrend, »dann ist es also wahr.«
6
N ina war auf ihrem »Sonnendeck«, als das Telefon klingelte. Sie nannte es nur so, denn so viel Luxus und Komfort, wie dieses Wort suggerierte, bot ihre Terrasse nicht. Eigentlich hatte sie vorgehabt, dort zu liegen und nachzudenken, tatsächlich aber hatte sie geschlafen. Im FBI -Büro konnte man nicht nachdenken, weil die Männer dort ständig Wind machten, in Telefone bellten und sich Wunder wie professionell und zackig gaben. Eines der Dinge, die sie über Männer gelernt hatte, war, dass es nicht genügte, seine Arbeit gut zu machen. Vielmehr musste jeder merken, dass hier ein Könner am Werk war. Sie fand, dass sie auf ihrer Terrasse viel besser nachdenken konnte, auch besser als in der übrigen Wohnung. Eigentlich sollte sie hier ausziehen, vor allem, seit die Beziehung mit John schiefgelaufen war. Das Haus kam ihr fremd vor, abgenutzt und in jeder Hinsicht renovierungsbedürftig. Es stand in den Malibu-Bergen, eine tolle Lage, aber sie konnte es sich nur leisten, weil es jeden Augenblick auseinanderzubrechen drohte. Durch den Betonfußboden des Wohnzimmers verlief ein handbreiter Riss. Der Swimmingpool war lange vor ihrem Einzug durch einen
Weitere Kostenlose Bücher