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Engel des Vergessens - Roman

Engel des Vergessens - Roman

Titel: Engel des Vergessens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wallstein Verlag
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weil ich niemanden organisieren konnte, der mich mit dem Auto in den Talgraben fährt. Ich stehe mit dem Koffer auf dem verschneiten Hauptplatz und beschließe, in die Gasthäuser zu schauen, in denen ich Männer aus Lepena vermute.
    Als ich an der Kirche vorbeigehe, sehe ich Vaters Traktor mit einem Anhänger vor der slowenischen Sparkasse stehen. Drei Mehlsäcke liegen unbedeckt und der Kälte ausgesetzt auf dem Ladewagen. Ich schaue zum Koller, aber da sei er nicht gewesen, sagt eine Kellnerin. Folglich gehe ich zum Bošti, in ein abgedientes Gasthaus mit dunklen, niedrigen Räumen. Ich treffe Vater tatsächlich dort an. Er begrüßt mich mit einem lauten Ja hallo! Die gehört zu mir, strahlt er, sie ist aus Wien gekommen, um mich zu holen!
    Während die Männerrunde an seinem Tisch zusammenrückt, um mir Platz zu machen, schauen die Gäste am Nebentisch kaum auf. Ich stelle den Koffer ab, hänge den Mantel auf und gebe Vater einen Kuss auf die Wange. Die Männer fahren mit dem Gespräch fort, bei dem ich sie unterbrochen hatte. Tine, den sie launig General nennen, schildert ihnen gerade einen Vorfall aus der Partisanenzeit, den sie zu Ende hören möchten. Die Runde am Nebentisch ist mit etwas Lärmendem beschäftigt. Die Männer lachen in kurzen Abständen schallend auf.
    Tine erzählt, wie er als Kompanieführer drei Verletzte in Koprivna bei Verwandten lassen musste. Die Bauern hätten sie heimlich gepflegt. Besonders schlimm sei es im letzten Kriegswinter gewesen. Seine Kompanie habe die Krankenstation in Solcava räumen müssen und den Auftrag bekommen, siebzehn verletzte Kämpfer im tiefen Schnee in ein weit entferntes Tal zu transportieren. Drei Schwerverletzte seien bei diesem nächtlichen Transport gestorben. Ich konnte das Sterben bei den Partisanen kaum ertragen, sagt Tine, genauso wenig wie die Kontroll- und Befehlswut der Politkommissare. Sie hätten ständig alles kontrolliert, seinen Rucksack durchsucht und ihm sogar verboten, Briefe an sein Mädchen zu schreiben, das sie als unzuverlässig eingestuft hatten. Sie haben sich in Privates eingemischt und unsinnige Befehle gegeben, sagt Tine. Einer an unserem Tisch fragt, wie es beim Peršman gewesen sei, seine Kompanie sei doch in der Nähe des Hofes gewesen. Tine holt tief Luft, ja, beim Peršman, sagt er, da hätten sie jeden Tag auf die Meldung gewartet, dass der Krieg vorbei sei. Er und seine Kompanie hätten sich mit zwei weiteren Einheiten fast drei Wochen lang in der Nähe des Hofes aufgehalten. Er habe schon damals gefunden, dass das unverantwortlich sei, aber das Kommando wollte abwarten. Die Partisanen hätten sogar Tanzen geübt, für den Frieden, so leichtfertig sei man gewesen, erzählt Tine. Ein Mann aus Globasnitz sei in der entscheidenden Nacht auf der Wache eingeschlafen und habe nicht bemerkt, dass sich SS-Einheiten auf den Peršman zu bewegten. Dann sei es zur Katastrophe gekommen, mit der zehn Tage vor Kriegsende niemand mehr gerechnet habe. Die Partisanen hätten sich nach einem Scharmützel zurückgezogen, weil sie dem Kampf ausweichen wollten, daraufhin sei eine SS-Einheit über die Bauernfamilie hergefallen. Er sei nach dem Massaker an den Peršman-Leuten außer sich gewesen, sagt Tine, die toten Zivilisten aus seiner Wehrmachtszeit in Polen und in Russland hätten ihn wieder eingeholt, der ganze Krieg habe sich vor seinen Augen zu einem Leichenhaufen aus Zivilisten aufgetürmt, schrecklich, sagt er, schrecklich! Er habe in der ersten Nacht alles durcheinandergebracht, die erhängten Russen in den ukrainischen Bauerndörfern, die abgebrannten Höfe, den Geruch nach verbranntem Fleisch, der sich über dem Peršman-Anwesen ausbreitete.
    In diesem Augenblick sagt einer vom Nebentisch, das sei eine Lüge, die Partisanen selber hätten doch die Peršman-Familie umgebracht. Wie, fragt Tine und hebt den Kopf.
    Ich habe plötzlich das Gefühl, dass Vaters Tischrunde in einen Hinterhalt geraten ist.
    Ihr habt doch nichts anderes getan, als die heimattreue Bevölkerung zu terrorisieren. Für Jugoslawien habt ihr gekämpft. Ihr seid schlicht und einfach Heimatverräter, schreit der Mann vom Nebentisch. Du meinst wohl die reichstreue Bevölkerung terrorisiert, sagt Tine, der langsam wieder Fassung gewinnt, das kenne ich in- und auswendig! Ihr glaubt noch immer, dass man unter Hitlerdeutschland für Österreich gekämpft hat. Für den deutschen Lebensraum schon, aber nicht für Österreich! Das freie Österreich war abgeschrieben wie nie

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