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Engel des Vergessens - Roman

Engel des Vergessens - Roman

Titel: Engel des Vergessens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wallstein Verlag
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zuvor. Ist das noch immer deine Heimat, das Deutsche Reich, auch jetzt noch, dass du uns als Heimatverräter beschimpfst, fragt Tine drohend, aber der Mann am Nebentisch bleibt stur. Ihr gehört alle vors Kriegsgericht, setzt er nach, die Engländer hätten euch verhaften sollen und nicht die anständigen Bürger einsperren, die ihre Pflicht getan haben.
    Die Engländer waren im Krieg unsere Verbündeten, entgegnet Tine, wir waren Teil der Alliierten, wenn dir das etwas sagt! Aber das geht nicht in deinen Kopf, was? Zur Nazizeit falle den Menschen nach so vielen Jahren nichts anderes ein, als ihre Propaganda zu wiederholen, nach so vielen Jahren, empört sich Tine. Er hätte sich auf sein Gefühl verlassen und nach Hause gehen sollen.
    Jetzt will er gehen, tönt es vom Nebentisch, im Krieg hätte er uns auf der Stelle erschossen, aber jetzt will er gehen!
    Er nicht, aber ich hätte dich erschossen, wenn ich dich erwischt hätte, sagt ein Mann an unserem Tisch und blickt den Provokateur drohend an.
    Für einen Augenblick erreicht uns der Nachhall des Krieges. Die Gaststube verwandelt sich in einen Kampfplatz, auf dem die Gegner ihre Stellungen einzunehmen beginnen.
    Das werde ich mir merken, sagt der bedrohte Angreifer.
    Vater ist nervös. Tine befiehlt dem zornigen Mann an unserem Tisch, der aufgesprungen ist, setz dich, na, setz dich!
    Der Nebentisch geht wieder zum Angriff über.
    Und du, Zdravko, sagt der Vorlaute zu meinem Vater, warst auch nichts anderes als ein Spitzel, da kann dich der vaterlandslose Bundespräsident auszeichnen, sooft er will. Für mich bist du ein Bandit wie alle anderen.
    Mein Herzklopfen steigert sich, ich habe das starke Bedürfnis, dem Angreifer etwas entgegenzuschleudern und meinen Vater in Schutz zu nehmen, aber es fällt mir nichts anderes ein, als Nazi zu sagen. Sie sind ja ein Nazi, sage ich und erschrecke über meine brüchige Stimme. Vater lacht auf, ein gequältes, kurzes Lachen bricht aus seinem Hals, dann sagt er zum Provokateur, ich bin ein Bandit und du bist ein Trottel!
    Gleich hole ich mein Gewehr, droht der kriegerische Verteidiger an unserem Tisch und springt erneut auf.
    Wenn du es holst, kannst’ gleich zu Hause bleiben, sagt die Wirtin mit fester Stimme. Ich rufe sofort die Polizei, auf der Stelle!
    Die Frontlinie ist durchbrochen, die Kampfreihen beginnen sich aufzulösen.
    Ich bitte Vater zu zahlen und möchte auf der Stelle gehen. Vater hebt abwehrend die Hand. Wann ich gehe, bestimme ich, sagt er. Tine schiebt sein Getränk in die Mitte des Tisches. Zahlen, ruft Vater nach einer Schrecksekunde, dabei wirft er das Geld auf den Tisch. Die Wirtin hält mit zitternden Händen den Kassablock und rechnet den Betrag aus. Vater gibt großzügig Trinkgeld und versucht aufzustehen. Er schwankt. Irgendwo muss noch eine Schachtel mit Lebensmitteln sein, sagt er, die dürfen wir nicht vergessen. Ich halte ihm seine Winterjacke hin und deute auf die Einkaufsschachtel auf dem Boden.
    So, sagt Vater, nachdem er die Schachtel aufgehoben hat, jetzt machen wir uns auf den Weg! Er scheint zu überlegen, ob er der gegnerischen Tischrunde noch etwas hinwerfen soll, aber nachdem ihm offensichtlich nichts einfällt, öffnet er die Tür.
    Wir treten auf die Straße. Der Hauptplatz ist menschenleer. Hoffentlich hat niemand die Mehlsäcke gestohlen, sagt Vater, als wir zur Kirche abbiegen. Der Traktor steht wie ein abweisendes Gespenst in der Kälte. Ich hebe meinen Koffer in den Anhänger und Vater lässt die Schachtel mit den Lebensmitteln hineinfallen, dass es kracht. Wir klettern in die Fahrerkabine. Nach mehreren Versuchen, den Traktor zu starten, springt er an. Vaters Beine heben und senken sich, während sie kuppeln und auf das Gaspedal treten, wie die Glieder einer Marionette. Seine Fahrmanöver jagen mir Schauer über den Rücken. Ich frage ihn, ob er was dagegen hätte, wenn ich chauffieren würde. Vater fährt eine Zeitlang, ohne zu antworten, in länglichen Windungen auf der glatten Schneefahrbahn weiter, dann hält er an. Du willst fahren, schreit er, du hast doch keinen Führerschein und keine Ahnung! Aber bitte, sagt er und überlässt mir den Sattelsitz.
    Ich habe prompt Schwierigkeiten beim Schalten, und Vater höhnt, was habe ich gesagt, Angeberin, kann nichts, hat keinen Führerschein, will aber fahren!
    Die Fahrbahn ist glatt und mir ist bang. Vater wird immer unruhiger. Mich Spitzel zu schimpfen, sagt er aufgebracht, mich einfach Spitzel zu nennen und Bandit, das lasse

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