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Engel des Vergessens - Roman

Engel des Vergessens - Roman

Titel: Engel des Vergessens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wallstein Verlag
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ich nicht auf mir sitzen, das muss ich diesem Menschen noch beibringen, dass man zu mir nicht Spitzel und Bandit sagt. Halt an, verlangt er, ich muss zurück, ich muss es ihm sagen, schreit er und greift mir ins Lenkrad.
    Ich bringe den Traktor zum Stehen und bitte Vater, der Anstalten macht abzusteigen, doch sitzen zu bleiben. Es sei mitten in der Nacht, die Männer hätten das Gasthaus längst verlassen, er solle sich nicht darüber aufregen, was ein paar Unbelehrbare von sich geben. Du hast leicht reden, sagt Vater. So kann man mit mir nicht umspringen, capito! Er blickt mich mit weit aufgerissenen Augen an und ringt nach Luft, als ob er am Ersticken wäre. Ich schaue stur auf die Straße, beschließe, ihn nicht weiter zu beachten, und lege wieder den Gang ein.
    Das gleichmäßige Tuckern des Motors beruhigt ihn. Als ich das Fahrzeug durch einen ebenen Talabschnitt lenke, wo sich der Graben weitet und die Waldhänge vom Straßenrand zurückweichen, scheint Vater neben mir eingenickt zu sein. Plötzlich schreckt er hoch und sagt, ich habe meine Handschuhe verloren, die Handschuhe sind mir aus der Hand geglitten. Ich solle umdrehen und zurückfahren! Ich kann den Traktor nicht wenden, sage ich, verschieben wir die Suche auf morgen. Er werde die wenigen Meter zu Fuß zurückgehen und die Handschuhe suchen, murrt Vater. Weit können sie ja nicht sein, er habe sie vor kurzem noch in den Händen gehalten, sagt er und versucht aufzustehen. Ich halte an. Vater steigt auf die Straße und sagt, er komme gleich zurück. Fluchend klettere ich vom Sitz und blicke Vaters dunkler Gestalt nach.
    Die Kälte ergreift mich wie ein schmerzender Schauder. In der Nachtstille, die um mich funkelt, wirkt das Knistern des ausgeschalteten Motors wie eine tickende Musik. Die Winternacht baut sich vor meinen Augen als Standbild auf, in dem das Mondlicht gefriert und die glänzende Schneedecke erstarrt. Dann plötzlich regt sich die Schneedecke, als ob sie ein Federkleid bekommen hätte, das sich atemlos hebt. Die Sterne am Himmel sind herabfallende Schneekristalle oder aufgestiegne Eisflocken, die sich immer weiter in die Unendlichkeit zurückziehen. Das Tal weitet sich unter der brennenden Luft. Neben der Straße prasselt das eisige Bachwasser.
    Vater ist nicht zurückgekehrt. Ich laufe die Straße zurück und rufe verhalten ati , Vater, aber das Bachwasser verschluckt meine Rufe. Am Ende der Ebene erkenne ich einen dunklen Fleck in der Böschung. Als ich näher komme, sehe ich Vater auf dem Rücken im aufgetürmten Schnee liegen.
    Ist dir schlecht, frage ich, soll ich Hilfe holen?
    Lass mich liegen, sagt Vater. Lass mich einfach liegen. Ich will nicht mehr, ich will einfach liegen bleiben.
    Du wirst dich erkälten, sage ich, du wirst Erfrierungen bekommen, du musst sofort aufstehen! Ich muss gar nichts, sagt Vater, ich bleibe hier liegen. Sveršina hat mir gezeigt, wie das geht. Sveršina kann im Schnee schlafen wie ein Partisan, und ich kann das auch.
    Und die Handschuhe, frage ich.
    Unter meinem Kopf, sagt Vater.
    Meine Geduld ist am Ende. Ich greife nach Vaters Hand und zerre ihn hoch, steh auf, steh auf, schimpfe ich, aber Vater legt sich wieder in den Schnee und verschränkt die Arme. Wenn alle verrückt spielen, warum nicht auch ich, denke ich verzweifelt und schreie in einem Hitler imitierenden Ton, Stehen Sie auf, Kamerad! Was fällt Ihnen ein, Aufstehen, Antreten, Bewegung, Marsch, Marsch! Und ich hebe die Hand zum Hitlergruß. Vater lacht ein Lachen, das sich anhört wie Schreien. Er steht auf der Stelle auf und salutiert. Heil Hitler, sagt er und wankt, diesmal vor Lachen. Ich kehre im Stechschritt um und beginne ein Partisanenlied zu schmettern. Vater taumelt hinter mir her und schreit, Heil Hitler, Heil Hitler, ta je pa dobra , das ist gut, das ist wirklich gut! Es gelingt mir, den Traktor zu starten, bevor er aufsteigt und sich hinsetzt. Ich singe das Partisanenlied unverdrossen weiter, auch während der Fahrt, weil ich Angst habe, dass Vater, sobald ich damit aufhöre, wieder absteigen will. Er ist jedoch mit meinem Programm einverstanden. Er lacht, dirigiert, singt, klopft mir auf die Schulter und wiederholt, wir beide, wir sind die wahren Trottel, wir sind die Kämpfer für Freiheit und Brot!
    Zu Hause, im Bett, kann ich lange nicht einschlafen. Das Zimmer ist kalt, ich friere bis in die Knochen und bekomme einen Kälteausschlag auf Armen und Beinen. Der Frost ist mir unter die Haut gekrochen. Er will in meinem Körper

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