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Engel des Vergessens - Roman

Engel des Vergessens - Roman

Titel: Engel des Vergessens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wallstein Verlag
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ist in die Hose gegangen, Teufel, Teufel, das ist in die Hose gegangen, sagt er und zittert, während er das Restgeld in die Brieftasche stopft. Als ob ich das nicht geahnt hätte, schimpft er, in Lavamünd sind die Zöllner nicht so streng. In Holmec ist ihnen fad, da haben sie nichts anderes zu tun, als zu kontrollieren. Auch der slowenische Genossenschaftsladen in Bleiburg kann ihm nach diesem Ärgernis gestohlen bleiben. Er will sofort über Globasnitz nach Hause gefahren werden.
    Während der Weiterfahrt mengt der Nachmittag dem Sonnenlicht einen warmen Goldton bei, der das Jaunfeld in eine klare Melancholie taucht. Es ist ein Licht, das alles Grelle zurückgenommen hat und das Vergehen des Sommers ankündigt. Mit Erstaunen blicke ich auf die Peca, auf unseren Hausberg, den ich im Halbkreis umfahre, weil er auf seiner nördlichen Seite geradezu sanft erscheint. Hier ist die Peca ein Bauchberg, ein länglich aufgeschütteter Sandhaufen, der mit Wald und grünen Matten bewachsen ist. Auf ihrem langgezogenen Rücken türmt sich Kalkgestein auf, damit der Gipfel strenger wirke. Um die Peca drängen und reihen sich die kleinen grünen Kuppen und Kegel wie Jungtiere, die sich an der Mutter orientieren. Hier laufen die Alpen aus, hier verlieren die schroffen, weißen Gebirgsaufhäufungen ihre herausfordernde Starre. Dahinter, in Richtung Süden erstreckt sich das verzweigte und verwinkelte Hügelland wie eine uneinnehmbare Schluchten- und Waldkuppeninsel, die nichts von ihrer verschwörerischen, aufrührerischen Abgeschlossenheit verloren hat.
    Nach dem Dörfchen Globasnitz, das sich am südlichen Rand des Jaunfeldes gegen eine Waldlehne drängt, biegen wir auf eine schmale Schotterstraße ab, die zum Luschasattel führt und von den Einheimischen als Güterweg genutzt wird. Auf dem einspurigen Fahrweg ist mir mulmig zumute, und ich hoffe inständig, dass uns niemand mit einem Gefährt entgegenkommt. Vater spürt meine Besorgnis und sagt, um mich zu beruhigen, dass er diese Straße mit dem Motorrad schon ohne Licht gefahren sei und auch nach Hause gefunden habe, ich solle mich nicht ängstigen. Was machen wir mit dem angefangenen Tag, brummt er. Wir könnten beim Riepl einkehren, wenn der Flortsch zu Hause ist, was meinst du?
    Als wir die Luschaalm hinter uns lassen und an der kleinen ökumenischen Kirche vorbeifahren, die Flortsch neben der Straße erbauen ließ, an der sie immer wie ein unvermuteter Felssturz auftaucht, steht der Nachbar ¢emer Johi vor der Kirche und winkt uns zu.
    Ich halte an und steige mit Vater aus. Johi lacht. Was hat euch hier herauf verschlagen? Er mache seinen täglichen Rundgang, sagt er und reicht uns die Hand. Vater berichtet vom Zahnarzt und dass sich der Zoll acht seiner Zigarettenstangen geschnappt habe. Verdammte Zöllner, verdammte, sagt er und spuckt aus.
    Er sei froh darüber, dass er zu rauchen aufgehört habe, sagt Johi und grinst. Er müsse sich nie mehr um Zigaretten sorgen, seine Lunge arbeite wie eine gut funktionierende Pumpe, er könne ohne Probleme bergauf und bergab gehen, sooft er wolle. Die Heuarbeit mache er allein, die Stallarbeit auch, er könne nicht klagen. Mein Getriebe stottert beachtlich, sagt Vater und trommelt mit der flachen Hand auf seinen Brustkorb. Irgendwann wird es krachen und aus wird es sein mit mir. Ach was, sagt Johi, so schnell wird es dich nicht wegputzen. Du hältst viel aus! Er solle nur daran denken, was er alles in seinem Leben schon ausgehalten habe. Kürzlich habe er an den Tag denken müssen, an dem die Polizei sie beide getrieben habe wie zwei Hunde, von Bunker zu Bunker, weißt du noch, fragt Johi. An dem Tag habe er seinen Vater zum letzten Mal gesehen. Als ihn die Polizisten vom Wald heruntergeschleppt haben, weil sie ihn so zugerichtet hatten, dass er kaum mehr gehen konnte, sei sein Vater gerade aus dem Stall getreten und habe vor Schreck die Hände in die Höhe gehoben. Die Polizisten wollten vom Vater erfahren, ob Mutter zu den Partisanen gegangen sei. Er habe natürlich getan, als ob er nichts wüsste, und sei dann verhaftet worden und nach Dachau gekommen, wo er zugrunde gegangen ist, sagt Johi. Als er am Ende des Krieges aus dem Jugendlager Moringen zurückgekehrt sei, war alles verändert; das Haus abgebrannt, der Stall geplündert, die halbe Verwandtschaft umgebracht, die Mutter krank von den Partisanen zurückgekehrt. Man musste zuerst anfangen, im neuen Leben das alte zu vergessen. Zuerst das Einmaleins des Vergessens, eine

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