Engel des Vergessens - Roman
seine Zahnprothese reparieren lassen müsse.
An einem späten Augusttag fahre ich mit Vater nach Slowenien. Die Landstraßen des südlichen Jaunfelds sind gesäumt von Maisäckern und Sonnenblumenfeldern, auf denen überreife, geschwärzte Sonnenblumenstauden stehen. In den Obstgärten faulen die Frühäpfel unter den Bäumen. Die Wespen führen über den verstreuten Früchten wilde, zeternde Futtertänze auf. Vater räkelt sich auf dem Beifahrersitz und beobachtet die Landschaft. Sein Blick tastet die Äcker und Felder ab, als ob er an den Früchten, Stauden und Gewächsen Hinweise auf die Länge des Herbstes oder die Strenge des Winters finden würde.
Wir passieren bei Bleiburg die Grenze und fahren über Poljana nach Prevalje.
Beim Zahnarzt sitzen schon zwei Landsleute, die auch die günstigen Behandlungstarife nutzen wollen. Vater meint, dass er sich lieber von einem Slowenen im Mund herumwerken lasse als von einem Kärntner Zahnarzt, weil die Slowenen nicht so schnell die Geduld verlieren. Seine Zahnprothese sitze schon seit Monaten schlecht und bereite ihm Schmerzen. Er möchte das endlich in Ordnung bringen, das sei ja nicht mehr auszuhalten gewesen, sinniert er, während er darauf wartet, aufgerufen zu werden. Als er an die Reihe kommt, sage ich, dass ich auf der gegenüberliegenden Seite der Straße in einem Café auf ihn warten werde.
Vater erscheint nach mehr als einer Stunde. Das sei eine Schinderei gewesen, sagt er. Die untere Prothese müsse neu angefertigt werden, es habe eine Ewigkeit gedauert, bis die Abdrücke in Ordnung waren. Ich glaube, wir haben uns ein Mittagessen verdient, was meinst du, fragt er.
Bevor wir Prevalje verlassen, kauft er im größten Gemischtwarenladen des Ortes zehn Stangen jugoslawische Zigaretten. Zehn Stangen, willst du wirklich zehn Stangen über die Grenze schmuggeln, frage ich verdutzt. Was soll’s, sagt er, das Geld muss ausgegeben werden. Er werde schon dafür sorgen, dass ihn die Zöllner über die Grenze lassen.
Nach der Ortschaft biegen wir auf einen Schotterweg ein, der sich zu Beginn steil durch ein Wäldchen zwängt. Höher oben öffnet sich ein schöner Ausblick auf die Landschaft diesseits und jenseits der Grenze. Vater kennt das Gasthaus, er sei schon einmal mit den Jägern hier eingekehrt, auf der Durchfahrt nach Šmartno, wo sie zu einer Jagd geladen waren. Wir bestellen Schweinsbraten und blicken uns in der kleinen, niedrigen Wirtsstube um. Einige Dörfler sitzen am Nebentisch und trinken. Vater nickt ihnen zu und sagt, dass sie hier einen guten Braten servieren. Ein Mann am Nebentisch fragt, ob wir aus Kärnten kommen. Ja, ja, sagt Vater, wir sind aus dem Kärntnerland, und bestellt noch ein Bier. Die Wirtin setzt sich an den Nebentisch, und nach kurzer Zeit sind Vater und ich in das vertraute Dorfgespräch hineingezogen, obwohl wir nicht mitreden und auch nicht unbedingt zuhören wollen.
Vater winkt die Wirtin herbei und sagt, er möchte alle Anwesenden auf eine Runde einladen, zur Feier des Tages, meint er und grinst. Was haben Sie zu feiern, will die Wirtin wissen.
Nichts Besonders, sagt Vater. Die Runde geht auf mich, ruft er den Dörflern zu und schmunzelt, als ob er ihnen gerade einen Streich gespielt hätte.
Als wir das Gasthaus verlassen, ist er aufgeräumt. In Bleiburg könnte er im slowenischen Genossenschaftsladen noch Werkzeug kaufen, fällt ihm ein. Die Mistgabeln und Äxte zu Hause seien nicht mehr im besten Zustand.
Wir nähern uns der Grenze. Er zündet sich eine Zigarette an. Jetzt müssen wir gut lügen, sagt er und hüstelt. Der slowenische Zöllner winkt uns nach der Passkontrolle durch. Der Österreicher fragt, ob wir was zu verzollen hätten. Nichts, gebe ich zur Antwort, aber Vater sagt, eine Schachtel Zigaretten, und hält dem Zöllner die Zigarettenschachtel vor die Nase.
Öffnen Sie den Kofferraum, sagt der Zöllner. Jetzt wird es ernst, denke ich und spüre einen leichten Schwindel beim Aussteigen. Als ich die Heckklappe aufmache, hat der Zöllner die Zigarettenstangen unter der Wolldecke, die ich über die Zigaretten gebreitet hatte, sofort entdeckt und zieht sie einzeln hervor. Der Schmuggelversuch misslingt. Vater, der sich als Besitzer der Zigaretten zu erkennen gibt, wird ins Zollbüro gebeten. Er muss acht Stangen Zigaretten der Zollwache überlassen und für die restlichen zwei Zoll zahlen. Die haben gesagt, dass ich froh sein solle, glimpflich davongekommen zu sein, porca duš, flucht er beim Einsteigen. Das
Weitere Kostenlose Bücher