Engel des Vergessens - Roman
wehren und die verheerenden Folgen ertragen. Sie entschied sich für eine gemeinsame Vorgehensweise mit den Widerständlern aus Slowenien, die den Kampf organisierten. Im Moment der größten Katastrophe wurde sie gemeinsam mit den Slowenen Teil des europäischen Kampfes gegen den Faschismus, glaubte an eine Zukunft, an die Befreiung und an die Einheit der Slowenen, nachdem sie sich nach dem Anschluss Österreichs an Nazideutschland unbehütet in einem Staat wiedergefunden hatte, der sie vertreiben und auslöschen wollte. An welches Österreich hätte sie glauben sollen? An das, das es zu diesem Zeitpunkt nicht gab, das sich nicht zur Wehr setzte und im Nationalsozialismus aufging, das einen Teil seiner Bürger bedrohte und den anderen der Vernichtung preisgab?
Und ich, wofür stehe ich? Ist so etwas wie nationales Handeln überhaupt real, oder ist es eine Chimäre?
In Slowenien löst sich auch die Kommunistische Partei auf und mit ihr der Mythos, aus dem sie ihr Recht bezog, allein zu regieren − der Mythos der Partisanen und der Befreiungsfront. Die Geschichte der Machtübernahme der Kommunisten innerhalb der Befreiungsbewegung wird neu beleuchtet und in dieser Ausleuchtung kommen immer mehr Tote zum Vorschein, Säuberungsmorde während des Partisanenkampfes, Nachkriegsmassaker an militärischen und politischen Gegnern und an unschuldigen Zivilisten, als die Partisanen die Wälder verließen und sich der Jugoslawischen Volksarmee anschlossen.
Ein Historiker fragt mich nach einer Veranstaltung, was die slowenischen Kommunisten in Kärnten zu diesen Aufdeckungen sagen werden. Ich erkläre ihm, dass im Unterschied zu Slowenien in Österreich die Kommunisten nicht an der Macht seien. Ja, sagt er, das wisse er, aber es müsste auch in Kärnten die Gleichung Partisan ist gleich Kommunist geben. Das behaupten die Gegner der Partisanen, antworte ich, die Gleichung stimme nicht.
Ich muss an die Partisanen und Partisaninnen aus unseren Gräben denken, die, aus der slowenischen, zentralen Machtperspektive betrachtet, wirken wie verstreute Waldgänger. Sie haben nichts mit der überdimensionierten, nach vorwärts stürmenden und stählernen Ikonographie gemein, die jahrzehntelang das Bild des Partisanen in der jugoslawischen und in der slowenischen Öffentlichkeit prägte. Sie wirken im Gegenteil wie Findlinge, die man aus der Revolutionsgeschichte fallen ließ. Da in der jugoslawischen und slowenischen Nachkriegsgeschichte nur die Verdienste der Kommunisten gerühmt werden durften, liegt es auf der Hand, dass die anderen Partisanen, die gläubigen und die ungläubigen, die unpolitischen und die halbherzigen, die enttäuschten, die zweifelnden und die ernüchterten, aus der Wahrnehmung verschwunden sind.
Ich komme von der Kärntner Seite, entgegne ich dem Historiker, da seien die Beteiligten nicht vom Heldenkult geblendet. Sie hätten wahrscheinlich gerne darin geschwelgt, um für eine kurze Zeit die Wunden des Krieges zu vergessen, um endlich eine Bestätigung zu erfahren. Sobald die Partisanen aus den Gräben ins Licht der Kärntner Öffentlichkeit treten, verwandeln sie sich sowieso in etwas tragisch Verzerrtes. Kaum verlassen sie ihre vier Wände, betreten sie gegnerisches Gebiet. Sie müssen um ihren historischen Sieg kämpfen, als ob er ihnen nie zugestanden worden wäre.
Bei einem Familientreffen frage ich Tonci, der bei seiner Flucht zu den Partisanen drei Jahre älter war als mein Vater, wie es Großvater als gläubiger Katholik mit den Kommunisten gehalten habe. Tonci sagt, die Religiosität des Großvaters sei von den Partisanen nie in Frage gestellt worden, für sie war nur von Bedeutung, dass Großvater als Kommandant eines Kurierpostens zuverlässig gewesen sei. Anders hätte das in Kärnten ja auch niemals funktioniert, die slowenische Landbevölkerung sei zum Großteil katholisch gewesen. Wenn Großvater mit dem Žavcer und mit anderen zu ausgewählten Höfen diesseits und jenseits der Peca gegangen sei, um für den Widerstand zu werben, hätten die Bauern gesagt, sie freuten sich über die slowenische Armee, endlich jemand, der auf ihrer Seite stehe! Die Uniform der Partisanen gefalle ihnen ganz gut, aber der rote Stern auf der Mütze nicht so sehr. Viele wären eher bereit gewesen, für den Kaiser zu kämpfen, denn in der Monarchie habe es weniger Probleme gegeben, meinten sie. Aber nachdem Ende 1943 ein Sieg über die Nazis immer wahrscheinlicher geworden sei, erklärten sich viele Bauern und
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