Engel des Vergessens - Roman
ein Gesicht verleihen, seiner Lebenssehnsucht wird man ein Denkmal bauen.
Oder will der Partisan die Revolution auf die blutende Spitze treiben, will er den Kampf fortsetzen im Siegeszug, das Siegesfest als Vergeltungsschlacht feiern, will er den Frieden in einen dauernden Misstrauenskrieg verwandeln, das Blutbad mit tausendfachem Mord tilgen? Seine Siegerstatue steht verlassen im Feld, die Waffe entsichert, von Geistern umstellt.
* * *
In Slowenien höre ich auf zu überlegen, ob sich jemand in meiner Nähe durch das Slowenische gestört fühlt. Ich könnte mich an das genussvolle Ausschreiten in der slowenischen Sprache gewöhnen, an die leichtfüßige, schlendernde, spielerische Sprachbewegung, wenn da nicht die Irritation des drohenden Krieges in der Luft hinge.
Nach einem Jahr kehre ich nach Kärnten zurück. Ich bin von Zugehörigkeitsgefühlen getragen und von den politischen Widersprüchen verunsichert. Noch träume ich davon, das erstarrte Gespräch zwischen den Slowenen diesseits und jenseits der Grenze zu beleben, und beginne in Kärnten an dem Plan einer grenzüberschreitenden literarischen und kulturpolitischen Zeitschrift zu arbeiten, aber das Projekt scheitert.
Während meiner Arbeit am Theater in Klagenfurt wird sich die slowenische Sprache aus meinen Texten zurückziehen. Eines Tages werde ich feststellen, dass sie in meinen Notizen und Aufzeichnungen nicht mehr vorhanden, aus den Schubladen ausgezogen ist, dass sie meinen Schreibtisch geräumt und ihre schönsten Kleider mitgenommen hat. Beleidigt abgerauscht die Schöne, hat genug von meinem Fremdgehen, werde ich an dem Tag denken, an dem ich die Veränderung begreife. Ich werde überlegen, ob sich mit der durchgebrannten Sprache auch mein Denken verändert hat, ob mit der Sprache, die mir auf den Lippen gewachsen ist, mit der mir auch eine Kette in der Hand gewachsen ist, um die Welt an mich zu ziehen, die Welt wieder aus meinen Händen entglitten ist? Hätte ich vorher das unbestimmte, ungesicherte Land zwischen den Sprachen verlassen sollen, das mich lange herumstreunen ließ, das keine Unbedingtheit voraussetzte wie das Schreiben in einer Sprache mit seinem alles entscheidenden Entweder-oder?
Äußerlich wird alles unverändert bleiben, alles wie vorher sein. Die slowenischen Bücher werden an ihrem Platz stehen. Weder werde ich die slowenische Sprache vergessen noch abgelegt noch verleugnet haben. Nichts wird sich in der Stille verschoben haben. Nur etwas Luftdurchlässiges, Ungreifbares wird zerbrochen sein. Nur meine Gedichtzeilen werden in ein neues Gewand geschlüpft sein, werden sich anderswo umgesehen haben, weil sie dem Niemandsland hinter der Grenze entfliehen wollten.
Die Sehnsucht nach dem Schreiben wird erlahmen. Meine schwärmerischen Pläne zerbrochen sein. Um mich verstreut werden Wörter liegen, als hätte ich sie in einem Anfall von Verzweiflung zu Boden geschleudert und wäre nicht mehr imstande, sie aufzuheben. Ich werde das Gefühl haben, auf einem Scherbenhaufen zu sitzen.
Doch bevor es so weit ist, bevor es dazu kommt, stehe ich am Abend des 26. Juni 1991 auf dem Platz der Republik in Ljubljana und beobachte das erste Hissen der neuen slowenischen Nationalflagge zu Ehren der unabhängigen Republik. Ich versuche mir einen Satz einzuprägen, den ich mir im Geiste immer wieder aufsage, das ist ein historischer Tag. Nur, was erkenne ich in diesem symbolisch aufgeladenen Augenblick? Die historische Dimension als ausschweifende Phantasie? Zur Freude gesellen sich Befürchtungen, dass die Jugoslawische Volksarmee noch in der Nacht die Grenzübergänge besetzen könnte. Ich fahre vor Mitternacht nach Österreich zurück. Am Morgen werden die slowenischen Grenzen tatsächlich vom Militär besetzt. Ich komme mir wie eine Gerettete vor. Nach lähmenden Tagen, in denen Slowenien vor einem Kriegsausbruch steht, zieht sich die Jugoslawische Volksarmee überraschend aus dem Land zurück.
* * *
Vater verliert über den drohenden Krieg in Slowenien beinahe den Verstand. Er sitzt am frühen Nachmittag angetrunken hinter dem Küchentisch und schimpft, dass die da in Slowenien anscheinend nicht mehr wissen, was ein Krieg bedeute. Er fordert mich auf, mich gefälligst aus allem herauszuhalten! Ungeklärte und lange unterdrückte Ängste nehmen wieder von ihm Besitz. Er kann sich tagelang nicht beruhigen und fühlt sich von allen im Stich gelassen.
In einem Buch lese ich über die Spätfolgen eines Kriegstraumas und wende den
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