Engel für den Duke
zu haben. „Ich war jetzt nicht mehr unten, aber wenn ich das nächste Mal dorthin gehe, werde ich darauf achten, besonders vorsichtig zu sein.“
„So etwas passiert nun einmal“, bemerkte der Duke lächelnd.
„Einigen häufiger als anderen“, fügte die Dowager Countess augenzwinkernd hinzu. Ihre Augen hatten fast dieselbe Farbe wie die ihres Neffen.
„Das Essen ist fertig“, sagte der Duke. „Darf ich die Damen überreden, das Gespräch im Speiseraum fortzusetzen? Ich stelle fest, dass ich recht hungrig bin.“
Das war sie auch, merkte Lily, und fragte sich, ob der Duke wohl tatsächlich Hunger hatte, oder ob er nur ahnte, dass sie so viel zu tun gehabt hatte, dass sie seit den Keksen und dem Kakao zum Frühstück nichts mehr gegessen hatte. Sie ahnte, dass Letzteres der Fall war.
Verflixt, sie wünschte, er wäre weniger aufmerksam. Bestimmt gab es irgendetwas an ihm, das nicht liebenswürdig war. Doch als er zu seiner betagten Großtante trat, sorgfältig darauf achtend, nicht zu schnell zu gehen, und ihr den Arm reichte, den sie brauchte, um sich zu stützen, als er erst ihr und dann Lily den Stuhl zurechtrückte, da fiel ihr nichts ein, was das sein könnte.
Der erste Gang wurde serviert, eine köstliche Austernsuppe, die leicht mit Kräutern gewürzt war. Darauf schwammen Zitronenscheiben; vermutlich stammten die Früchte aus den Gewächshäusern des Hauses.
„Hast du etwas von deinem Bruder Rule gehört?“, fragte Lady Tavistock und führte einen Löffel voll Suppe zum Mund.
„Er ist in Oxford und beendet sein Studium“, erwiderte der Duke. „Von einer amerikanischen Gesellschaft wurde ihm eine Stellung angeboten, sobald er fertig ist – wenn er die annimmt, wird er viel auf Reisen sein.“ Er sah Lily an. „Es war der Wunsch unseres Vaters, eine Beziehung zu den Amerikanern aufzubauen. Rule hat das versprochen. Und ich könnte mir vorstellen, dass es ihn reizt, ein anderes Land zu besuchen.“
„Ich würde Amerika auch gern kennenlernen.“
Der Duke lächelte. „Sie sehnen sich also nach Abenteuern?“
Lily lächelte zurück. „Nur in Gedanken, fürchte ich. Vor allem lese ich gern Bücher über die Reisen anderer Leute.“
„Genau wie ich.“
„Royal hat einige Zeit in der Karibik zugebracht“, ergänzte seine Tante. „Er hat dort die familieneigene Plantage geleitet. Und er hat es sehr gut gemacht.“
„Die Herausforderung hat mir gefallen“, sagte er. „Ich hoffe, das gelingt mir auch hier. Zu Hause ist weit mehr zu tun als auf Sugar Reef.“
„Mit der richtigen Frau an deiner Seite“, sagte seine Tante, „wird es dir gut gelingen, davon bin ich überzeugt.“
Royal betrachtete angestrengt seinen Suppenteller, und Lily fragte sich, was ihm wohl durch den Kopf gehen mochte.
„Sie lesen also gern“, sagte die Dowager Countess zu ihr.
„Sehr gern. Ich lese fast alles, was ich in die Finger bekomme.“
„Hier auf Bransford gibt es eine ganze Bibliothek voller Bücher“, sagte der Duke. „Sie dürfen sich jederzeit alles leihen, was Sie interessiert.“
Sie spürte, wie er sie ansah, und ihr wurde heiß. „Vielen Dank.“
„Was hast du von deinem Bruder Reese gehört?“, fragte die ältere Frau und durchbrach damit diesen seltsam intimen Moment. Lily fragte sich, ob die Dowager Countess das mit Absicht machte. Immerhin war ihr Neffe mit einer anderen Frau so gut wie verlobt.
„Im Augenblick kämpft Reese auf der Krim gegen die Russen. Aber von ihm direkt habe ich schon seit einer Weile nichts mehr gehört. Offenbar ist es schwierig, Briefe aufzugeben, aber soweit ich weiß, ist er zumindest gesund.“
„Ich bin froh, das zu hören. Bei deinem Bruder Reese weiß man nie genau, womit zu rechnen ist.“
Royal wandte sich an Lily. „Reese ist Major bei der Kavallerie, ein richtiger Abenteurer. Dennoch hoffen wir alle darauf, dass er irgendwann das Militär verlassen und ein etwas sesshafteres Leben hier zu Hause führen wird.“
Sie setzten die Mahlzeit unter angenehmer Konversation fort, und es überraschte Lily, wie wohl sie sich fühlte.
Bis Lady Tavistock das Gespräch auf Jocelyn brachte.
„Wann erwartest du die Ankunft der Caulfields?“, fragte sie ihren Neffen.
„Bald, denke ich. Jedenfalls gleich, nachdem das Wetter besser geworden ist und die Straßen wieder passierbar sind.“
„Erzählen Sie uns etwas über Ihre Cousine. Was ist sie für eine Frau? Wofür interessiert sie sich?“
„Jocelyn ist sehr schön“, sagte Lily, ohne
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