Engel für den Duke
wissen sollte, wenn sie eine Duchess werden soll. Die Ehe ist arrangiert. Was bleibt, sind nur noch Formalitäten.“
„Ich … ich bin sicher, dass alles gut werden wird. Sie und Jocelyn sind ein reizendes Paar.“
Er lachte spöttisch. „Nach außen hin vielleicht …“
Lily fühlte Mitleid mit ihm. Sie konnte sich nicht vorstellen, einen Mann zu heiraten, den jemand anderes für sie ausgesucht hatte. „Sagen Sie mir, wovor Sie Angst haben.“
Er sah sie aus seinen goldbraunen Augen an. „Innerlich scheinen wir völlig verschieden zu sein. Es ist schwer zu erklären. Wir scheinen unterschiedlich zu denken und die Welt ganz verschieden zu sehen.“ Er seufzte und schüttelte den Kopf. „Wie ich schon sagte, es ist nicht wirklich wichtig. Wir werden heiraten, und dann werden wir das Beste daraus machen. Jocelyn bekommt einen Titel und einen hohen sozialen Rang, und ich bekomme das Geld, das ich brauche, um Bransford Castle und das Vermögen wieder aufzubauen. So geht das.“
Aber er sah sie an, als habe er auf viel mehr gehofft. Er sah sie an wie an jenem Tag, als ihre Blicke sich in der Eingangshalle einen Moment lang begegnet waren. Er sah sie an, als wäre sie es, die ihm das Glück schenken konnte, von dem er geträumt hatte.
Lily spürte einen Stich im Herzen. Himmel, selbst wenn nur die geringste Möglichkeit bestand, dass er so dachte, dann musste sie ihn dazu bringen, damit aufzuhören. Sie war nicht der Mensch, für den er sie hielt. Sie war es nicht wert, einen Duke zu heiraten. Sie musste ihm die Wahrheit sagen.
„Ich denke, Ihr Vater hat für Sie eine gute Wahl getroffen.“ Sie zwang sich, die Worte auszusprechen. „Jocelyn stammt aus einer guten Familie. Sie weiß, wie sie sich in diesen Kreisen zu benehmen hat, wie sie mit den Menschen der Oberklasse umgehen soll. Ich dagegen wurde von einem armen Lehrer und seiner Frau aufgezogen – und mein Onkel hat das gestohlen, was er zum Leben brauchte.“
Er fuhr auf. „Wie bitte?“
Lily holte tief Luft. Sie war fest entschlossen, ihm alles zu sagen und damit der wahnsinnigen Anziehung ein Ende zu bereiten, die sie beide zu fühlen schienen.
„Der Großvater meiner Mutter war der Earl of Kingsley. Nach dem, was meine Mutter erzählte, war seine Tochter – meine Großmutter – gegen den Wunsch des Earls mit einem einfachen Mann durchgebrannt, einem Bauern, glaube ich. Der Earl enterbte sie, und sie hat ihn nie wieder gesehen. Meine Mutter hat ebenfalls einen einfachen Mann geheiratet – ich sagte Ihnen ja schon, mein Vater war Lehrer.“ Sie brachte ein Lächeln zustande. „Ihm ist es zu verdanken, dass ich eine sehr glückliche Kindheit hatte und eine wunderbare Ausbildung erhielt, aber dann wurden er und meine Mutter krank und starben an der Cholera – und dann …“ Sie brach ab. Ihre Kehle war wie zugeschnürt.
„Sprechen Sie weiter, Lily“, drängte er sanft. „Sagen Sie mir, was geschah, nachdem Ihre Eltern gestorben waren.“
Sie schluckte. „Dann lebte ich bei dem einzigen Verwandten, den ich kannte: Jack Moran, dem Bruder meines Vaters. Das Problem war, dass Onkel Jack noch weniger Geld hatte als mein Vater. Während ich in einem kleinen Cottage auf dem Land gewohnt habe, hat Onkel Jack in einer Dachkammer über einer Taverne in London gehaust.“
Sie sah zu ihm auf und zwang sich, die Geschichte zu Ende zu erzählen. „Onkel Jack war ein Taschendieb, Hoheit. Von der Zeit, als ich zwölf war bis zu dem Zeitpunkt, als er mich vor der Tür meines Cousins Henry absetzte, führte ich dasselbe Leben wie er.“
Royal richtete sich auf und musterte sie. „Sie wollen doch nicht sagen …?“
„Mit dreizehn war ich eine Taschendiebin – eine der besten. Ich konnte so schnell laufen, dass mich niemand fassen konnte. Ich war eine kundige Diebin, die alles stahl, was nötig war, damit wir die Miete bezahlen konnten. Wenn Onkel Jack sich jemandes Vertrauen erschleichen musste, dann spielte ich jede Rolle, die nötig war, damit er dabei Erfolg hatte. Ich war immer schüchtern gewesen, aber ich lernte, das zu überwinden. Als ich sechzehn wurde, kannte ich mich in vielen verschiedenen Rollen aus, und mit der Zeit wurde ich auch darin recht gut.“
Royal sagte nichts, doch er presste die Kiefer aufeinander. Lily wappnete sich gegen die Verachtung, die er fühlen musste. Sie unterdrückte die Tränen und zwang sich zum Weitersprechen.
„Meine Eltern haben mich zur Ehrlichkeit erzogen, und zuerst machte mich der Gedanke
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