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Engel im Schacht

Engel im Schacht

Titel: Engel im Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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waren schon seit Jahren nicht mehr benutzt worden, seit damals nicht, als die letzten Einzelhändler aus dem Pulteney ausgezogen waren. Die Klappen ließen sich nicht bewegen, nicht einmal, als ich den Wagenheber aus dem Kofferraum holte und versuchte, sie hochzustemmen. Der Mann im Sackmantel beobachtete mich voller Interesse. »Ist Ihnen da was reingefallen, Mädel?«
    »Eine alte Freundin«, antwortete ich geistesabwesend. »Haben Sie sie gesehen? Sie hatte ein paar Kinder dabei.«
    Er gesellte sich zu mir, um mit mir zusammen durch die Risse in den Klappen zu spähen, als hoffe er, seine Zukunft dort unten im Dunkel zu entdecken. Als ich meine Frage wiederholte, schlurfte er zum Abfalleimer zurück und murmelte, er kümmere sich nur um seine eigenen Angelegenheiten und erwarte von anderen das gleiche.
    Ich versuchte, das Sperrholz, mit dem die Türen vernagelt waren, mit meinem Wagenheber wegzustemmen. Die Leute von Rensselaer Siding hatten ganze Arbeit geleistet - ich konnte nirgends eine Ritze oder ein loses Brett entdecken. Mit genügend Zeit und dem richtigen Werkzeug hätte ich die Bretter einfach durchgebrochen, aber in diesem Teil der Stadt gibt es zu viele Polizisten auf Patrouille, die aufpassen, daß den Touristen in Chicago nichts passiert.
    Ich hob den Blick, als die Hochbahn über mir hinwegratterte. Vor zehn Jahren wäre ich vielleicht noch einen Stahlträger raufgeklettert und die drei Meter zu einem Fensterbrett des Pulteney hinübergesprungen. Aber jetzt war ich fast vierzig, und solche Sprünge schaffte ich nicht mehr.
    »Ich werde cleverer, nicht älter«, sagte ich laut.
    Der alte Mann hob den Blick von seinem Abfalleimer. »Richtig, Mädel. Sie werden immer cleverer, und bald sind Sie wieder im Kindergarten.« Er kicherte vor sich hin und wiederholte meine Bemerkung. »Cleverer, nicht älter. Ja, und wenn man cleverer wird, fängt man an, jünger zu werden.«
    Ich fischte in meiner Jeans nach einem Dollarschein. »Guter Gedanke. Bauen Sie ihn aus. Und trinken Sie eine Tasse Kaffee auf mich.« Als ich wieder in meinen Wagen stieg, hörte ich ihn den Satz noch einmal wiederholen und idiotisch dazu lachen. MacKenzie Grahams Spider stand vor meiner Tür, als ich nach Hause kam. Ich wußte nicht, ob mich das freuen oder ärgern sollte. Er stieg aus und versuchte, mir die Tüte mit meinen Einkäufen abzunehmen.
    »Ich hab' mir Ihren Computer angeschaut. Man kann die Daten zurückholen, aber das ist langweilig und eine Mordsarbeit. Ich hab' mir gedacht, Sie könnten mir Ihre Dankbarkeit beweisen, indem Sie mit mir zum Essen gehen.«
    »Mein Freund kommt zum Essen. Außerdem trage ich die Tüte selber.« Irgendwie ärgerte es mich, daß er sich einfach in meine Pläne für den Abend einmischte. »Wissen Sie, wenn Sie sich genauso eifrig nach einem Platz umsehen würden, wo Sie Ihre Bewährungsauflage erfüllen können, wie nach mir, hätten Sie schon längst was gefunden. Dann könnten Sie im Sommersemester wieder an der Uni anfangen – Sie könnten zusammen mit Ihren alten Kommilitonen den Abschluß machen.«
    »Gehen Sie nur mit Leuten aus, die einen Collegeabschluß haben? Was macht denn Ihr Freund - ist das einer von diesen schicken Anwälten?«
    »Er beschäftigt sich in der Tat mit dem Gesetz. Ihr Dad hat mir bis heute nachmittag um fünf Zeit gegeben, um einen Platz für Sie zu finden. Soll ich ihm erzählen, daß Sie jetzt statt dessen für mich arbeiten?«
    Er grinste mich frech an. »Das würde ihn wahrscheinlich auf die Palme bringen, und das wär's wert. Aber vielleicht sollten Sie ihm lieber sagen, daß ich statt dessen ins Gefängnis muß. Was müßte ich denn machen, damit Sie mit mir essen gehen - soll ich die Typen umlegen, die Sie verfolgen?«
    »Suchen Sie sich lieber einen Job. Und dann müßten Sie unseren Altersunterschied noch von zwanzig auf zehn Jahre verringern.« Mr. Contreras hatte offenbar diese melodramatische Szene von seinem Wohnzimmer aus beobachtet, denn seine Tür stand offen, und die Hunde stürzten heraus, als ich das Foyer betrat. Ken folgte mir ins Haus. Als ich sah, wie sehr sich der alte Mann freute, schwand ein Teil meines Ärgers. Mr. Contreras' Leben ist ziemlich trübe geworden, seit einer seiner besten Freunde letztes Jahr gestorben ist. Jetzt erklärte er mir, wie sehr er es genoß, sich mit einem intelligenten Jungen zu unterhalten.
    »Prima.« Ich gab mir größte Mühe, meine müde Stimme begeistert klingen zu lassen. »Dann wünsch' ich euch zwei

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