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Engel im Schacht

Engel im Schacht

Titel: Engel im Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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die anderen Mieter den Eilantrag zum Wiederanschluß an das Stromnetz unterzeichnet, aber keiner von ihnen kam jemals mit mir nach unten, um sich mit Kabeln und Rohren zu beschäftigen.
    An jenem Tag stellte ich mir durch meinen Übermut selbst ein Bein. Ich kannte die Kellertreppe so gut, daß ich die Stufen vor mir nicht mit der Taschenlampe ausleuchtete. Also stolperte ich über ein loses Stück Gips. Als ich mit den Armen ruderte, um das Gleichgewicht wiederzugewinnen, ließ ich die Taschenlampe fallen. Ich hörte das Glas splittern, als sie die Stufen hinunterpolterte.
    Ich atmete tief durch. Lohnte es sich wirklich, sich jetzt noch Gedanken über Darraugh Grahams Zorn zu machen? War es nicht sinnvoller, nach Hause zu gehen und sich am nächsten Morgen mit einer neuen Taschenlampe den Drähten und Kabeln zu widmen? Außerdem wollte ich noch zu einer Sitzung des Frauenhausstiftungsbeirats, in dem ich Mitglied bin.
    Das Problem war nur, daß Darraughs Honorar direkt in meine Kasse für ein neues Büro floß. Wenn ich nicht pünktlich ablieferte, hatte er keinerlei Grund, sich wieder an mich zu wenden - er arbeitete mit einer ganzen Anzahl von Detekteien zusammen, die meisten davon zwanzigmal so groß wie die meine.
    Also bewegte ich mich wie ein Krebs nach unten. Ich hatte eine Arbeitslampe und einen Werkzeugkasten gleich neben dem Sicherungskasten am anderen Ende der Wand. Wenn ich den erreichte, ohne mir den Hals zu brechen, war alles in Ordnung. Doch meine eigentliche Angst galt den Ratten: Sie wußten, daß der Keller ihnen gehörte. Wenn ich sie mit der Lampe anleuchtete, verschwanden sie gemächlich aus dem Lichtkreis und wackelten dreist mit dem Schwanz, hörten aber deswegen noch lange nicht auf herumzuscharren, während ich arbeitete.
    Ich tastete im Dunkeln herum und versuchte, nicht hinter jedem herunterhängenden Draht Schnurrhaare zu vermuten, als ich merkte, daß das Geräusch, das ich hörte, von einem Menschen stammte, nicht von einem Nager. Ich bekam eine Gänsehaut. Hatten die Culpeppers Schläger angeheuert, um mir einen Schreck einzujagen? Oder waren das Diebe, die glaubten, das Gebäude stehe leer, und die Kupferdrähte und andere halbwegs interessante Sachen von den Wänden entfernen wollten?
    Ich kniete vorsichtig im Dunkeln nieder und bewegte mich langsam nach rechts, wo ich hinter einer Kiste mit Holzresten in Deckung gehen konnte. Ich spitzte die Ohren. Es befand sich mehr als nur ein Mensch im Keller. Einer davon klang, als stehe er kurz vor einem Asthmaanfall. Sie hatten genausoviel Angst wie ich. Aber das munterte mich auch nicht auf, denn ein verschreckter Einbrecher wird eher gewalttätig als einer, der glaubt, die Situation im Griff zu haben.
    Ich bewegte mich noch weiter nach rechts, wo vielleicht ein paar alte Rohre lagen, die mir als Waffe dienen konnten. Einer der Eindringlinge wimmerte und wurde sofort zum Schweigen gebracht. Das Geräusch erschreckte mich so, daß ich gegen einen Stapel Rohre stieß; sie fielen klappernd herunter. Aber das war egal - das Wimmern stammte von einem kleinen Kind. Ich arbeitete mich zu meiner Lampe zurück, fand den Stecker und schaltete die Lampe an.
    Auch nachdem sich meine Augen an das Licht gewöhnt hatten, dauerte es noch eine Weile, bis ich die Quelle des Geräuschs ortete. Ich stocherte vorsichtig zwischen Kisten und alten Büromöbeln herum. Ich schaute in den Aufzugschacht und unter die Treppe. Fast dachte ich schon, mir alles nur eingebildet zu haben, als ich das Wimmern wieder hörte.
    Eine Frau kauerte hinter dem Boiler, neben ihr drei Kinder. Das kleinste davon zitterte stumm, das Gesicht gegen das Bein seiner Mutter gepreßt. Nur hin und wieder gab es ein quäkendes Geräusch von sich. Das größte, das mit Sicherheit nicht älter als neun oder zehn war, hustete asthmatisch, hemmungslos jetzt, wo sich ihre schlimmste Furcht bewahrheitet hatte: von jemandem entdeckt zu werden.
    Wenn ich nicht das asthmatische Husten und das Wimmern gehört hätte, wäre ich in dem trüben Licht wahrscheinlich noch ein paarmal an ihnen vorbeigegangen, ohne sie zu bemerken. Sie trugen mehrere Schichten von Pullovern und Jacken über ihren ausgemergelten Körpern, die sie wie Vogelscheuchen aussehen ließen.
    »Die feuchte Luft hier unten ist sicher nicht gut für Ihren Sohn.« Die Bemerkung war ziemlich unpassend, das merkte ich selbst. Die Frau starrte mich düster an. In dem trüben Licht konnte ich nicht beurteilen, was stärker war - Wut oder

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