Engel im Schacht
könnte, den Grund zu betreten. Die Zulieferer und Arbeiter fuhren die Baustelle wahrscheinlich von hinten an, nicht von der Eiston Avenue. Wenn man nicht wußte, wonach man suchte, hätte man die Baustelle von außen nicht bemerkt. Wenn es tatsächlich ein Projekt von Home Free war, stellten die Leute ihr Licht unter den Scheffel.
Ich ging durch das abgestorbene Präriegras, um mir die Baustelle genauer anzusehen. Das Fundament war bereits mit Beton ausgegossen. Die Ecksteine für das Erdgeschoß waren ungefähr eineinhalb Meter hochgemauert. Etwa acht oder zehn Männer nagelten ein Gerüst fest, das später mit Beton ausgegossen werden sollte. Sie riefen einander Anweisungen in einer Sprache zu, die ich nicht verstand - vielleicht handelte es sich dabei um einen italienischen Dialekt, vielleicht auch um schlechtes Spanisch. Weiter hinten lagen Holzstapel. Jenseits davon ratterte ein Betonmischer. Der große Lieferwagen, mit dem Gary Charpentier in der vergangenen Woche von Home Free weggefahren war, stand neben ihm.
Die Männer trugen abgerissene Jeans und Hemden. Mehrere von ihnen arbeiteten, obwohl es ein kühler, grauer Tag war, mit nacktem Oberkörper. Einer entdeckte mich, als ich über ein Gewirr aus verrosteten Eisenträgern kletterte. Er hörte auf zu hämmern und rief seinen Kollegen etwas zu. Ein paar von ihnen pfiffen und feuerten mich mit Worten an, die ich auch ohne Wörterbuch verstand.
Ein großer Typ mit einem Cowboyhut trat hinter der Betonmischmaschine hervor. Er warf mir einen Blick zu und fluchte dann zu den Arbeitern hinüber. Der Mann, der mich entdeckt hatte, begann wieder zu hämmern, wenn auch gemächlicher; die ganze Mannschaft machte langsamer, um dem Schauspiel zuzusehen. Der Mann, der geflucht hatte - wahrscheinlich der Vorarbeiter -, kam über die unkrautbewachsene Fläche zu mir herüber. Er sah bedrohlich aus, war beinahe dreißig Zentimeter größer als ich und trug einen beeindruckenden Wanst vor sich her.
»Das hier ist eine private Baustelle, Miss. Hier dürfen nur Leute mit Schutzhelmen rein.« Er hatte einen ziemlich starken Akzent, der mich ein wenig an den meiner Mutter erinnerte und so gar nicht zu seinen Cowboystiefeln und seinem Stetson zu passen schien.
Ich deutete hinüber zu der Mannschaft. »Und warum tragen die dann keine? Und Sie?« Er beäugte mich mit zusammengekniffenen Augen und spuckte knapp an meinem linken Zeh vorbei. »Die haben sowieso schon ziemlich harte Schädel. Gehen Sie mal lieber wieder einkaufen, oder was Sie sonst vorhaben. Die Männer hier arbeiten.« »Ist das eine Baustelle von Home Free?«
Er trat einen Schritt auf mich zu, so daß sein Bauch sich fast auf gleicher Höhe mit dem unteren Ende meines Schulterholsters befand. »Wen interessiert das?« »Mich.« Es kostete mich etwas Überwindung, nicht einen Schritt zurückzutreten. »Hier werden Sie nichts erfahren, Lady. Das ist eine private Baustelle, alles andere geht Sie nichts an.«
»Aber man hat mich gefragt, ob ich nicht investieren möchte. Wie soll ich das machen, wenn ich nicht mal weiß, wie die Arbeit von Home Free aussieht?« Er runzelte die Stirn, versuchte abzuwägen, wieviel Wahres an meiner Geschichte war, kam aber zu dem Schluß, daß sie ihm nicht gefiel. »Glauben Sie den Leuten einfach, was sie Ihnen sagen. Wenn Sie mit einem von den Chefs kommen, können Sie sich hier auch umsehen. Wenn nicht, sollten Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten kümmern.«
Jetzt runzelte ich meinerseits die Stirn und wog meine Alternativen ab. Ich war nicht nur nicht groß genug, um es mit ihm aufzunehmen, nein, es hatte auch keinen Sinn; ich konnte ihm nur zeigen, daß ich keine Angst vor ihm hatte. Aber manchmal ist es von Vorteil, wenn das Gegenüber denkt, man habe Angst - denn das führt zu Unvorsichtigkeit. Ich konnte ja jetzt, da ich wußte, wo sie steck ten, jederzeit wiederkommen.
Ich breitete die Hände aus und lächelte. »Na schön. Dann hole ich eben einen von den Chefs. Erkennen Sie Eleanor Guziak, wenn Sie sie sehen, oder muß es Jasper Heccomb persönlich sein?«
Sein Blick wurde noch finsterer. »Wenn einer von denen dabei ist, können Sie sich hier umsehen. Und jetzt verschwinden Sie.«
Ich ging ein paar Schritte rückwärts, um zu sehen, ob er mir folgte, drehte mich dann um und suchte mir einen Weg durch den Bauschutt hinaus auf die Eiston Avenue. Ich ließ mir Zeit, versuchte, locker auszusehen. Die Arbeiter pfiffen mir noch ein bißchen hinterher. Ich drehte
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