Engel im Schacht
gegebenen Umständen hatte ich keine andere Wahl. Als ich die Eiston Avenue überquerte, schaute ich mich noch einmal um. Charpentier und Anton beobachteten mich, die Arme in die Hüften gestemmt. Die Arbeiter pfiffen mir wieder nach. Es klang nicht unfreundlich, also winkte ich ihnen noch einmal zu.
Während der kurzen Fahrt nach Hause ließ ich mir Charpentiers Abschiedsworte durch den Kopf gehen. Ich konnte sie eigentlich nur so verstehen, daß er und Anton meine Verfolger gewesen waren und daß sie auf etwas Bestimmtes warteten, bevor sie sich auf mich stürzten. Aber auf was?
Es überraschte mich, wie wütend ich auf Charpentier und seinen Cowboy-Vormann war. Sie hatten mich auf gemeinste Weise beleidigt. Ich mag's nicht, wenn jemand mich »Mädchen« nennt oder mir sagt, daß er mir irgendwann auflauern wird, um mir eine Lektion zu erteilen. Charpentiers blödes Gerede wurmte mich mehr als meine blauen Flecken.
Wenigstens kannte ich jetzt eine Baustelle von Home Free. Es wäre interessant herauszufinden, ob Charpentier sie ordentlich beantragt hatte. Und noch interessanter wäre es, Charpentiers Bücher durchzugehen, festzustellen, ob Home Free ihn pünktlich bezahlte. Er war vergangene Woche nicht allzugut auf Jasper zu sprechen gewesen, aber dabei konnte es nicht um Geld gegangen sein. Ein Typ wie Charpentier würde nicht mehr wiederkommen, wenn er sein Geld nicht bekam.
Wahrscheinlich hatte Heccomb heute noch nicht mit Charpentier gesprochen. Wenn er ihm gesagt hätte, daß ich schon ganz nahe an den Trüffeln dran war, hätten sie mich wahrscheinlich umgebracht. Ich versuchte, die Vorstellung von meiner Leiche, in Beton gegossen, zu verdrängen.
Mackenzie Graham hatte mir gesagt, daß meine Verfolger in einem viertürigen Wagen gefahren waren, vielleicht in einem braunen. Das paßte auf den Nissan von Charpentiers Frau. Doch für den Fall, daß es doch jemand anders gewesen war -oder daß Jasper noch jemanden in Reserve hatte -, stellte ich meinen Wagen wieder auf der Morgan Street ab und ging die zwei Häuserblocks zu Fuß heim. Ich hatte die Hand auf der Smith& Wesson, als ich die innere Tür aufschloß. Im Eingang lauerte mir niemand auf. Die Schlüssel in der linken Hand, stapfte ich die Treppe hoch, meine Gedanken mehr bei einem heißen Bad als bei Anton. Ich hörte sie einen Augenblick, bevor ich si e sah, Zeit genug, um die Smith& Wesson zu entsichern. Drei maskierte Schatten erhoben sich am oberen Ende der Treppe. Ich feuerte meine Waffe ab und rannte gekrümmt die Stufen hinunter. »Verdammtes Miststück! Haltet sie auf!«
Ich hastete um die Ecke des Treppenabsatzes herum, einer der Schatten hinterher. Ich schoß, verfehlte ihn und hörte einen auf mich gerichteten Schuß. Gerade als ich die nächste Treppe hinunter wollte, stürzte sich der Schatten auf mich. Wir rollten zusammen die Stufen abwärts. Meine Waffe ging los, und der Schuß verbrannte mir die Hand.
Es war alles so eng, daß ich mich nicht von meinem Angreifer befreien konnte. Also zog ich die Knie an und stieß sie ihm, so fest es ging, in den Bauch. Er ächzte und packte mich an den Haaren. Ich stieß noch einmal zu. Mit den Beinen konnte ich mich jetzt bewegen. Gerade als ich meine Waffe heben wollte, versetzte mir eine andere Hand einen Schlag auf den Kopf. Ich verspürte einen so intensiven Schmerz, daß ich einen Augenblick am Abgrund der Welt zu tanzen schien, und dann umhüllte mich gnädige Dunkelheit.
Raubvogel
Die Sonne war ein grelles Licht in der Ferne. Ein Falke saß auf dem Arm eines Mannes mit Kapuze, beäugte mich kühl, wollte mich in das Zentrum der Sonne tragen. »Nein!« schrie ich. Ich wollte mich aufsetzen, aber der Falkner streckte einen Arm aus und drückte mich auf den Boden. Der Vogel pickte an meiner Hand. Als ich aufwachte, war die Sonne nur noch ein fluoreszierendes Licht an einer Zimmerdecke mit Flecken. Und der Vogelschnabel hatte sich in einen Tropf verwandelt, der mit einer Vene an meinem linken Arm verbunden war. Um mich herum hatte jemand schäbige Vorhänge zugezogen. Ein Wagen mit medizinischen Instrumenten stand links von mir, und eine Frau in T-Shirt und Jeans mit einem Stethoskop tauchte neben mir auf.
»Schön. Sie sind aufgewacht. Wissen Sie Ihren Namen noch?«
»Wo bin ich?« krächzte ich.
»In der Notaufnahme des Beth Israel Hospital.«
»Wie bin ich hierhergekommen?«
»Polizisten haben Sie hergebracht. Sie wollen übrigens mit Ihnen reden, um zu sehen, woran Sie sich noch
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