Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engel im Schacht

Engel im Schacht

Titel: Engel im Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
Vom Netzwerk:
ihn zur Rede gestellt. Aber was hatte Fabian damit zu tun? Ihr gewaltsamer Tod ließ auf jemanden schließen, der wütend war, sich nicht mehr unter Kontrolle hatte. Fabian hatte ich schon einmal so erlebt, Jasper noch nicht. Vielleicht war Fabian irgendwie in das Projekt verwickelt, das so viel Geld einbrachte - vielleicht beriet er Senator Gantner nicht nur bezüglich der Boland-Novelle. Aber wie sah sein Rat dann aus? Ich hatte nicht genügend Informationen, um weitere Spekulationen anzustellen.
    Aber angenommen, Deirdre hatte tatsächlich über das Geld Bescheid gewußt. Angenommen, sie hatte sich an dem Abend ihres Todes in meinem Büro mit Jasper verabredet. Sie unterhielt sich mit ihm, und herein kam Fabian, sah, wie spöttisch und schadenfroh sie war, und drehte durch. Jasper würde natürlich schweigen, weil er es sich nicht leisten konnte, die Polizei auf sein Geld aufmerksam zu machen. Ich richtete mich kerzengerade auf, mir lief es eiskalt den Rücken hinunter. Wenn Jasper Deirdre des Geldes wegen umgebracht hatte, war mein eigenes Leben jetzt auch keinen Pfifferling mehr wert. Ich mußte etwas unternehmen, etwas Handfestes herausfinden, damit Finchley einen Durchsuchungsbefehl beantragen konnte. Ich mußte die Geschichte vom anderen Ende her aufrollen. Was wollte Jasper mit dem ganzen Geld? Der einzige Anhaltspunkt waren die Baustellen, die er hütete wie seinen Augapfel.
    Ich tappte den Flur zum Bad hinunter, wo ich kalt duschte, bis ich mit den Zähnen klapperte. Dann überlegte ich, was ich anziehen sollte; ich wollte nicht, daß Charpentier sich daran erinnerte, mich schon einmal bei Home Free gesehen zu haben. Schließlich zog ich eine Jeans und einen marineblauen Blazer an und setzte einen großen Strohhut auf, der mein Gesicht verbarg. Straßenkarten von den Vororten, die Zeitung und meine Waffe vervollständigten meine Ausrüstung.
    Bevor ich das Haus verließ, spähte ich noch einmal kurz durch die Jalousien auf die Straße. Niemand lungerte dort unten auf dem Gehsteig herum, in die Autos konnte ich nicht hineinsehen. Ich nahm trotzdem lieber den Hinterausgang. Von meiner winzigen Terrasse aus kann man den ganzen Hof überblicken, aber wenn man das Haus durch die Vordertür verläßt, hat man praktisch keine Deckung.
    Mein Wagen stand immer noch da, wo ich ihn abgestellthatte. Ich stieg ein und fuhr mit vielen Haken in Richtung Kennedy Expressway. Es folgte mir niemand.
    Charpentiers Büro war in Des Piaines, ziemlich weit jenseits des O'Hare-Flughafens. Er arbeitete in einem langgezogenen Backsteingebäude wie viele andere kleine Bauunternehmer auch. Es war niemand da. Da reinzukommen wäre ein Kinderspiel gewesen, aber ich hatte Conrad versprochen, nicht wieder mit meinem Dietrich zu spielen. Also seufzte ich und schlug die Privatadresse Charpentiers nach, die ein Stück die Mautstraße runter in Richtung Arlington Heights lag. Charpentiers Haus war ein zweistöckiger Bau im neokolonialen oder neogeorgianischen Stil, oder wie diese falschen Säulen auch immer im Fachjargon der Immobilienmakler hießen. Es war groß, aber nicht riesig. Auch das dazugehörige Grundstück hatte nur durchschnittliche Ausmaße, war jedoch außerordentlich gepflegt. Obwohl noch früh im Jahr, war das Gras bereits grün und bedeckte den Boden wie gesponnene Seide - oder wie Alec Gantners Experimentiermais.
    In der Auffahrt stand ein neueres Nissan-Modell. Ein Junge mit einem Skateboard kam gerade aus dem Haus, gefolgt von einer Frau, die dann mit dem Nissan wegfuhr. Ich lenkte den Wagen wieder auf die Hauptstraße und suchte eine Tankstelle mit einem Telefon. Nachdem ich Gary Charpentiers Stimme auf dem Anrufbeantworter gehört hatte, kaufte ich mir einen Kaffee und ein Doughnut und kehrte in die Straße zurück, in der Charpentier wohnte. Damit die Nachbarn mich nicht sahen, aß ich mein Doughnut um die Ecke, studierte die Karte und hörte zu, wie Jessye Norman Tschaikowski-Lieder sang.
    Kurz vor zwei kam Mrs. Charpentier mit ihrem Nissan zurück. Ich wartete weitere zwanzig Minuten, damit sie die Sachen, die sie eingekauft hatte, auspacken und einräumen konnte. Dann suchte ich auf dem Rücksitz nach etwas, das mir Glaubwürdigkeit verleihen würde, und fand einen Stapel Flugblätter, die für eine Benefizveranstaltung zugunsten von Arcadia House warben. Als Mitglied des Stiftungsbeirats sollte ich ohnehin zwanzig Karten dafür verkaufen. Der Junge mit dem Skateboard kam an die Tür. Er war vielleicht zehn, schlank

Weitere Kostenlose Bücher