Engel im Schacht
angeschaut hatte oder bis der Rollstuhl kam. Ich holte mein Morgenmäntelchen aus dem Umkleideraum. Sobald der Techniker das Vorzimmer verlassen hatte, verschwand ich.
Die Krankenhauspantoffel behinderten mich, also zog ich sie aus und joggte barfuß über den rauhen Asphalt. Als ich wieder in meinem Zimmer war, hatte ich Seitenstechen und schnappte nach Luft.
Ich machte den Plastiksack mit meinen Sachen auf und legte ihn aufs Bett. Fast hätte ich gekotzt, so unerträglich war der Gestank. Ich hielt den Atem an, während ich meine Hose und das T-Shirt aus dem Durcheinander in dem Sack herausfischte und dann in den Taschen des Overalls nach den Schlüsseln und meiner Smith &Wesson suchte. Meine Brieftasche steckte noch immer in der Tasche meiner Jeans. Ich hatte bereits ein Hosenbein übergestreift, als Conrad das Zimmer betrat.
»Ms.W.! Was machst du denn da? Ich hab' gedacht, du gönnst dir heute einen ruhigen Tag.«
»Conrad! Gott sei Dank! Hast du mir meine Sachen mitgebracht?« Dankbar zog ich die Jeans wieder aus.
»Schön, daß du gesund und munter bist, Baby. Du hast mir gestern abend einen ganz schönen Schreck eingejagt.« Conrad nahm mich in den Arm, trat aber mit gerümpfter Nase sofort wieder einen Schritt zurück. »Igitt, du stinkst ja wie eine ganze Müllkippe.« Trotz meiner Eile konnte ich mir ein Lächeln nicht verkneifen. »Noch schlimmer: nach den Abwässern der Stadt. Das sind die Kleider, die ich gestern getragen habe. Ich wollte sie aus reiner Verzweiflung wieder anziehen.«
Conrad verschloß den Plastiksack und führte mich zurück zum Bett. »Weshalb bist du so verzweifelt? Du hast gestern sieben Leute aus dem Tunnel geholt. Du bist eine Heldin. Du hast sogar vorher versucht, mir mitzuteilen, was du machen willst, also bist du eine Heldin, die ich auch akzeptieren kann. Immer mit der Ruhe, Baby. Mach mal eine Pause.«
»Keine Zeit«, antwortete ich ungeduldig. »Emily hat den Mörder ihrer Mutter gesehen. Er glaubt, daß sie ihm was anhaben kann. Wir müssen sie irgendwie schützen.«
»Verdammt noch mal, Vic, ich versteh' kein Wort von dem, was du sagst. Tu einfach so, als würdest du dich freuen, mich zu sehen, und erzähl mir dann alles von Anfang an.«
Ich hätte vor Frustration laut losschreien mögen. »Ich freue mich ja, dich zu sehen. Aber ich habe jetzt keine Zeit für persönliche Sachen. Gestern nacht wollte jemand in Emilys Zimmer. Ein Glück, daß die Nachtschwester ihn gesehen hat. Ich will sie nicht allein lassen.«
Er lächelte mich schräg an. »Du solltest zum Militär, Ms. W. - Pflichterfüllung, Pflichterfüllung, dein Job ist dein ein und alles. Aber ich weiß immer noch nicht, wovon du eigentlich redest. Wer wollte gestern nacht in das Zimmer des Mädchens, und warum regst du dich deswegen so auf?«
»Ach.« Endlich merkte ich, daß ich unzusammenhängendes Zeug redete. Nachdem ich meine Gedanken kurz geordnet hatte, schilderte ich ihm meine Unterhaltung mit Emily. Als ich damit fertig war, erklärte ich ihm, warum ich im Tomographen fast in Panik geraten war.
»Und du glaubst ihr?« fragte er mich, als ich fertig war mit meiner Erzählung. »Was meinst du damit? Ich glaube, daß sie in jener Nacht ziemlich verzweifelt in die Stadt gefahren ist. Ich glaube, daß sie die Leiche ihrer Mutter an meinem Schreibtisch gesehen hat. Ich glaube, daß sie sich unter meinem Schreibtisch versteckt hat, als der Mann hereingekommen ist und sich an meinem Computer zu schaffen machte. Ich glaube nicht mehr, daß dieser Mann Fabian war, obwohl ich mir das wünschen würde - denn das wäre die einzige Möglichkeit, die mir momentan einfällt, wie man ihm das Sorgerecht für Emily entziehen kann.«
Conrad verschränkte die Hände im Schoß. »Sie will nicht mit uns reden. Terry hat Mary Louise zu ihr geschickt, weil er dachte, vielleicht redet sie mit einer Frau eher, aber sie hat kein Wort aus dem Mädchen herausgebracht.«
»Ich erzähle Officer Neely gern noch mal, was ich dir gerade gesagt habe. Verstehst du denn nicht, Conrad - wenn ich recht habe mit meiner Vermutung darüber, wer meine Verfolger sind und warum sie das machen, schwebt Emily jetzt in großer Gefahr.« Er warf einen traurigen Blick auf seine Hände. »Ihre Geschichte hat dich tief beeindruckt. Aber wir dürfen die Möglichkeit nicht aus den Augen verlieren, daß sie ihre Mutter umgebracht hat ... daß alles, was sie erzählt hat ... nicht notwendigerweise ... «
»Nein!« Ich spürte, wie mir die
Weitere Kostenlose Bücher