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Engel im Schacht

Engel im Schacht

Titel: Engel im Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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jedoch so leise, daß ich sie kaum verstand. »Ich weiß, er braucht meine Hilfe, aber für mich ist das auch nicht leicht ... es fällt mir sehr schwer. Ich versuche, nicht ins Bett zu gehen, bis ... Sie wissen schon, er und Mom, aber in der Nacht war sie nicht daheim, es wurde immer später, ich konnte einfach nicht mehr aufbleiben. Und da ist er reingekommen. Er war immer noch wütend und hat sich gar nicht mehr beruhigen können, wegen ... Vic.«
    Sie sah mich das erste Mal an, ganz vorsichtig, um festzustellen, wie ich auf diese Kritik reagieren würde. Ich lächelte ihr beruhigend zu, und sie schaute wieder weg. »Er hat mir erzählt, was er dachte... zuerst wollten Sie mich negativ beeinflussen, und jetzt Mom. Daß alles Ihre Schuld ist, wenn Josh ihm freche Antworten gibt und Mom in Ihr Büro gefahren ist. Er hat gesagt, daß wir alle seiner Karriere nicht die nötige Beachtung schenken, daß er sich abrackere, um uns ein angenehmes Leben zu ermöglichen, und wir ihn dafür nur demütigen. Und dann ist er ... ist er schrecklich wütend geworden und hat angefangen ... zuerst habe ich nicht gewußt, was er macht ... wissen Sie ... er ... er ... «
    Sie fing an zu würgen. Ich nahm schnell ein Tablett vom Nachttischchen, das Ellen Higgins ihr unters Kinn hielt, während sie ein bißchen Schleim erbrach. Ich ging ins Bad, um einen nassen Waschlappen zu holen, den ich der Schwester reichte. Mir wurde selbst fast schlecht, als ich sah, wie Emily sich quälte. Ellen Higgins' Augen waren feucht, als sie Emilys Gesicht vorsichtig abwischte.
    »Du mußt es nicht erzählen«, sagte ich. »Aber jedenfalls wolltest du zu Deirdre, zu deiner Mutter.«
    Sie nickte und schluckte. »Er... er hat gesagt, daß ich ein unartiges Mädchen bin, dann ist er aus dem Zimmer. Ich hab' mich angezogen, bin zur Hintertür rausgeschlichen und mit dem Bus in die Stadt gefahren. Ich weiß nicht, wie spät es war, wahrscheinlich Mitternacht. Aber es war schrecklich. Abgesehen von einem Betrunkenen, der mich anfassen wollte, war niemand auf den Straßen. Ich bin zu Ihrem Büro gerannt. Ich habe Tamar im Foyer gesehen, aber damals habe ich noch nicht gewußt, daß sie so heißt. Ihren Namen hat sie mir erst später gesagt, als sie mir den Weg in den Schacht gezeigt hat. Sie hat gesagt, ich soll nicht in das Büro gehen, aber ich hab' ihr geantwortet, da drin ist meine Mutter, ich muß sie sehen. Also hab' ich die Tür aufgemacht. Das Licht war an, Mom ist mit dem Oberkörper über dem Schreibtisch gelegen.« Sie kicherte hysterisch vor sich hin. »Zuerst habe ich gedacht, Mom ist wieder mal besoffen, und ich bin richtig wütend geworden. Ich hab' sie geschüttelt und sie angebrüllt: >Wach auf. Kannst du nicht mal was für mich tun?< Erst da hab' ich gesehen ... ihr Kopf war ganz blutig. Ich hab's nicht begriffen; ich hab' gedacht, sie ist ohnmächtig geworden und hat sich den Kopf aufgeschlagen. Dann ist plötzlich die Tür aufgegangen. Tamar hat geflüstert, ich soll mich verstecken, weil jemand kommt. Inzwischen hatte ich gemerkt, daß Mom tot war ... ihr Gehirn... « Sie brachte eine ganze Weile kein Wort heraus.
    »Ich war so durcheinander, daß ich mich nicht von der Stelle gerührt habe. Ich hab' bloß Tamar angestarrt. Sie ist irgendwann verschwunden, und ich hab' Schritte gehört, Männerschritte, also bin ich unter den Schreibtisch gekrochen. Ich hab' gesehen, wie er zum Schreibtisch ist. Ich hab' gedacht, wenn er mich hier findet, verprügelt er mich. Ich hab' gemeint, er sucht nach mir.«
    »Du hast gedacht, es ist dein Dad«, sagte ich. »Bist du dir sicher? Hast du sein Gesicht gesehen?«
    »Nein. Ich war unterm Schreibtisch.«
    »Seine Schuhe? Hast du seine Schuhe erkannt?« drang ich weiter in sie. Sie schwieg. »Ich weiß es nicht. Vielleicht... wer sonst könnte es gewesen sein? Welcher andere Mann wäre wohl so wütend auf Mom gewesen, daß er ihr so weh tut?« »Was hat er gemacht? Hast du das gesehen?«
    »Ich hab' Angst gehabt, daß er mich hört, wenn ich mich rühre. Ich hab' die Luft angehalten, da hab' ich ein klickendes Geräusch gehört. Zuerst hab' ich's nicht begriffen. Dann hab' ich gedacht, er macht was am Computer, so hat sich's jedenfalls angehört. Danach ist er gegangen. Ich hab' gewartet. Ich hab' gehofft, daß Tamar kommt und mir hilft; aber es ist niemand gekommen. Also bin ich irgendwann wieder rausgekrochen. Ich hab' schreckliche Angst gehabt. In dem Gebäude waren so viele Geräusche; als ich draußen

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