Engel im Schacht
eine Rosenknospe in die Tasche des T-Shirts gesteckt. Ich spürte, wie sich mein Herz zusammenkrampfte, kämmte mir die Haare besonders sorgfältig und steckte mir die Rose mit einer Tropfklemme, die ich unter dem Bett fand, hinters Ohr. Bevor ich das Zimmer verließ, rief ich noch Ellen Higgins an, um ihr zu sagen, daß die Streeters kommen würden. Emily schlief, erzählte mir die Schwester, weil man ihr ein starkes Sedativum verabreicht hatte. Sie würde wahrscheinlich den ganzen Nachmittag nicht mehr aufwachen. Schwester Higgins wußte nicht, ob Fabian oder Dr. Morrison es gestatten würden, daß ich eine Wache vor Emilys Zimmer postierte, aber sie persönlich würde Tims Anwesenheit fürs erste tolerieren.
Als ich auflegte, kam Ken Graham mit einem Strauß Tulpen herein. »Ich hab' schon fast befürchtet, daß ich die auf Ihrem Grab pflanzen muß, aber jetzt kann ich sie Ihnen doch persönlich überreichen. Wieso treiben Sie sich eigentlich in den unterirdischen Tunnels von Chicago herum, während ich daheim in Kenilworth sitze und Darraugh davon überzeugen muß, daß ich kein Psychopath bin?« »Ist Ihr Dad denn daheim? Sind seine Büros auch vom Wasser stillgelegt?« »Tja, Sie haben keinen Strom, aber er führt die Geschäfte von einem Notbunker aus. Typisch Darraugh: Während alle anderen jammern, sichert er sich ein paar Räume im Gold Coast Hotel. Aber Sie jammern natürlich auch nicht - Sie machen die wirklich interessanten Sachen. Diese Episode führt vielleicht endgültig dazu, daß Darraugh überschnappt: Es dürfen Leute in das Gebäude, aber aus Sicherheitsgründen kann immer nur einer rein. Also holen die Durchtrainierten einer nach dem anderen die wichtigen Unterlagen raus. Zu Fuß, vierzig Treppen rauf, weil es keinen Strom gibt. Ich war auch schon einmal drin, aber er hält mich immer noch für einen Psychopathen. Also hab' ich mir gedacht, ich gehe zu Ihnen und frage Sie, ob Sie mich heiraten möchten.«
»Und den Brautstrauß haben Sie gleich mitgebracht. Wie aufmerksam. Haben Sie sich in letzter Zeit auch ein bißchen mit meiner Buchhaltung beschäftigt? Meine Steuer ist morgen fällig.« Ich nahm den Sack mit meinen schmutzigen Sachen in die eine Hand und seine Blumen in die andere.
»Das Finanzamt gewährt allen Unternehmen und Privatpersonen im Loop eine Fristverlängerung - das haben sie heute vormittag in den Nachrichten gebracht.« Er schlang die Arme um mich. »Heiraten Sie mich, wenn ich Ihre Daten rechtzeitig rekonstruiere?«
Ich ließ die Blumen und den Plastiksack fallen und löste mich aus seiner Umarmung. »Wenn Sie meine Daten rekonstruieren, sorge ich dafür, daß Ihre Arbeit als soziale Tätigkeit anerkannt wird. Das ist für Sie wichtiger als eine Frau ... Ich möchte einer Patientin in der Kinderabteilung eine Nachricht zukommen lassen. Würden Sie die bitte Schwester Ellen geben?«
Ich schrieb einen sorgfältig formulierten Satz über die Streeter-Brüder auf ein Stück Papier und reichte es Ken. Mit einem übertriebenen Seufzen steckte er den Zettel in seine linke Brusttasche. Er mußte wieder zu seinem Vater ins Hotel zurück, um seine Aufgaben als Laufbursche zu erledigen, aber am Abend würde er sich meinen Unterlagen widmen, versprach er.
»Ich glaube nicht, daß meine Waden noch mal die vierzig Treppen zu Darraughs Büroräumen hoch wollen. Warum müssen Sie denn schon wieder weg? Wir könnten uns doch zusammen in dem gemütlichen kleinen Bett hier ausruhen.« Ich nahm den Plastiksack in die Hand und verließ das Zimmer, ohne ihn einer Antwort zu würdigen.
Die drei Musketiere
Meine Erschöpfung ließ mich in einen tiefen Schlaf voll qualvoller Träume versinken. Manchmal hörte ich Emily weinen, konnte sie aber nicht sehen. Ich folgte ihrer Stimme durch die dunklen, überfluteten Tunnels, ohne sie zu finden. Dann wieder war ich in einem Sarg aus Stahl gefangen, durch dessen Seiten hindurch ich sehen konnte, wie Fabian seine Tochter quälte, während Conrad und Terry Finchley sich über mich lustig machten, weil ich mich nicht bewegen konnte.
Als ich endlich aufwachte, hatte ich einen schalen Geschmack im Mund, und meine Arme fühlten sich an, als hätte jemand systematisch mit Ziegelsteinen darauf eingeschlagen. Ich schnappte nach Luft, als ich mich umsah und meine Umgebung nicht erkannte. Einen Augenblick dachte ich, ich befinde mich in einem jener Alpträume, in denen man glaubt, wach zu sein, es aber nicht ist. Nach ein paar Sekunden normalisierte sich
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