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Engel im Schacht

Engel im Schacht

Titel: Engel im Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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war, hab' ich gedacht, ich seh' ihn an der Ecke stehen. Da bin ich gerannt. Den ganzen Weg aus der Innenstadt nach Hause. Ich bin gerannt und gegangen, und ich hab' solche Angst gehabt, er könnte mich sehen, daß ich mich nicht mal am Seeufer gefürchtet hab'.«
    »War dein Dad daheim, als du wieder zu Hause warst?«
    »Das wollte ich gar nicht wissen«, flüsterte sie. »Denn dann hätte er ja sicher gewußt, daß ich ihn gesehen habe ... ihn . . . alles. Ich hab' meinen Schreibtisch vor die Tür geschoben, damit ... damit niemand reinkonnte, und dann bin ich ins Bett und einfach dagelegen, bis es hell geworden ist und ich gehört habe, daß Nathan zu mir reinwill.
    Den ganzen Tag hat Daddy so getan, als war' überhaupt nichts Ungewöhnliches passiert. Er hat mich angebrüllt, daß Joshua seine Milch trinken und ich ihn nicht so verwöhnen soll. Er hat gefragt, wo Mom steckt, als ob er ihr nie was getan hätte ... oder so. Ich hab' nichts gesagt. Er ist nun mal so. Er wird wütend, er schlägt Mom oder ... oder macht andere Sachen, und dann tut er so, als ob nichts passiert wäre.« Sie hatte sich eine Ruhepause verdient, aber ich wollte ihr noch eine Frage stellen über den Baseballschläger. Wo hatte sie ihn gefunden?
    »Als ich unterm Schreibtisch vorgekrochen bin.« Sie flüsterte immer noch. »Plötzlich hab' ich ihn da liegen sehen, voll mit ... mit ... Sie wissen schon. Deswegen war ich mir so sicher, daß Daddy da war. Ich hab' ihn mitgenommen und hinter der Heizung versteckt. Ich hab' gedacht ... ich weiß nicht mehr, was ich gedacht habe. Wenn er in der Nacht wieder reinkäme, hab' ich mir gedacht, würde ich ihn anbrüllen, ihm sagen, daß ich der Polizei von dem Schläger erzählen würde, mit dem er sie umgebracht hat.« Wieder fing sie zu kichern an, jedoch nicht aus Fröhlichkeit, sondern vor Schmerz. »Natürlich hab' ich das nicht gemacht. Er ist wieder reingekommen, wann er wollte, und ich bin bloß dagelegen ... wie eine Maus.«
    Ellen Higgins wiegte Emily sanft in ihren Armen und redete beruhigend auf sie ein. Ich mußte mich zusammenreißen, um nicht zu weinen. Ich wollte nicht mit zittriger Stimme sprechen.
    »Du warst sehr tapfer, Emily. Du hast versucht, Hilfe zu holen, du hast versucht, dich um deine Brüder zu kümmern. Wir lassen dir jetzt eine Weile Ruhe, aber das heißt nicht, daß ich dich im Stich lasse. Wenn du wieder bei Kräften bist und aus dem Krankenhaus heraus darfst, suchen wir dir einen sicheren Ort, wo du hinkannst.« »Sehen Sie doch mal nach, ob Dr. Morrison auf unserem Stockwerk ist«, sagte Ellen Higgins zu mir. »Ich glaube, wir sollten Emily ein Beruhigungsmittel geben, damit sie sich eine Weile wirklich ausruhen kann.« Als ich aufstand, merkte ich, daß meine Beine wieder steif waren. Deshalb bewegte ich mich ziemlich ungelenk zur Tür, als hätte ich das Wasser aus den Schächten in den Schuhen, das mich jetzt bei jedem Schritt behinderte. Ich sah Dr. Morrison und Dr. Golding auf dem Flur vor der Tür. Offenbar hatten sie gelauscht, aber ich wußte nicht, ob sie Emilys geflüsterte Worte verstanden hatten. Dr. Morrison warf mir einen merkwürdigen Blick zu, wollte etwas sagen, verschwand dann schnell hinter Emilys Tür. Als ich endlich wieder in meinem eigenen Zimmer war, schlotterten mir die Knie so sehr, daß ich fast nicht mehr zum Bett kam. Etwa eine halbe Stunde später erschien eine Schwester mit einem Rollstuhl. Ich begriff nicht so ganz, was sie mir erklären wollte, nämlich, daß sie mich hinüber ins andere Gebäude schieben würde, wo eine Aufnahme von meinem Gehirn gemacht werden sollte.
    Anscheinend glaubte sie, daß ich einen Gehirnschaden hatte -jedenfalls holte sie eine andere Schwester, die ihr half, mich in den Rollstuhl zu hieven. Während der Fahrt versuchte ich mir vorzustellen, was so ein Bild von meinem Gehirn zeigen, wie der Techniker entsetzt zurückweichen würde, wenn er meine Gedanken sähe: Die Qualen, die Emily durchlitten hatte, festgehalten auf einem Röntgenfilm.

Brainstorm
    Als ich in der Metallröhre des Kernspintomographen lag, wurde mir plötzlich etwas klar. Das Gerät machte einen Höllenlärm, und es war knalleng. Um keinen klaustrophobischen Anfall zu bekommen, versuchte ich, mich auf etwas Angenehmes zu konzentrieren - auf die Hunde am Ufer des Sees, auf einen Abend mit Conrad -, aber immer wieder kreisten meine Gedanken um Emily.
    In ihrem überreizten Zustand mußte es ihr völlig logisch vorgekommen sein, daß ihr Vater

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