Engel im Schacht
in die Stadt gefahren war, Deirdre getötet hatte, nach Hause zurückgekehrt war, um seine Tochter anzugreifen und dann noch einmal in mein Büro zurückfuhr, um etwas an meinem Computer zu manipulieren. In ihrer Angst war ihr Fabian als allgegenwärtig und unentrinnbar erschienen. In Wirklichkeit war Fabian wahrscheinlich zu Hause gewesen, so, wie er es die ganze Zeit behauptete. Der Gedanke, daß er seine Frau tatsächlich nicht umgebracht hatte, enttäuschte mich so sehr, daß ich unruhig wurde in dem Kernspintomographen. Erst jetzt dämmerte mir der Rest der Geschichte. Jemand anders hatte Deirdre umgebracht. Der Mann, den Emily an der Ecke des Pulteney gesehen und für ihren Vater gehalten hatte, war in Wahrheit der Mörder.
Angenommen, meine Theorie stimmte. Der Mörder wartete ... auf wen? Auf ein Taxi? Einen Helfer? Jedenfalls sah er, wie Emily das Gebäude verließ. Und überlegte, ob sie Zeugin des Mordes geworden war. Er glaubte das eigentlich nicht, denn er hätte es gemerkt, wenn jemand im Flur oder im Büro gewesen wäre. Vielleicht war das nur eine Mieterin, die spätabends noch aus dem Haus kam. Also ließ er sie gehen. Erst nachdem der Baseballschläger in Emilys Schlafzimmer entdeckt worden war, wußte er, daß sie in meinem Büro gewesen war, was bedeutete, daß er sie unbedingt finden mußte, um zu sehen, ob sie ihm schaden konnte.
Deswegen war ich also am Samstag nicht getötet worden. Sie hatten gedacht, ich wüßte, wo Emily steckte, und könnte sie zu ihr führen. Was wiederum bedeutete, daß Jasper mit Sicherheit wußte, wer Deirdre umgebracht hatte - er oder einer der drei Musketiere. Vielleicht auch der Bauunternehmer Charpentier. Der Mann, der mitten in der Nacht vor Emilys Krankenzimmer aufgetaucht war, war weder ein Reporter noch ein Freund von Fabian, sondern der Mörder.
Schweiß perlte in meinem Nacken und tropfte in das Krankenhausnachthemd. Ich steckte in einer überdimensionalen Stahlzigarre, und der Lärm pochte in meinen Schläfen. Panik stieg in mir auf, drohte, mich zu ersticken.
»Sie dürfen sich nicht rühren«, ermahnte mich eine Stimme über Lautsprecher. »Wenn Sie sich bewegen, wird die Aufnahme nichts, und wir müssen noch mal von vorn anfangen.«
Mein Gehirn zerbarst fast unter dem Lärm, den das Gerät machte. »Ich muß hier raus.«
»Wir sind fast fertig.« Die metallische Stimme gab sich beruhigend. »Versuchen Sie, nicht an die Untersuchung zu denken. Atmen Sie tief durch und bleiben Sie ruhig.« Die glatten Seitenwände des Tomographen umschlossen mich wie ein Sarg, und der Lärm erschien mir wie eine besonders raffinierte Foltermethode. Meine Finger vergruben sich so tief in meine Handflächen, daß sie fast bluteten. Ich hatte eine schreckliche Wut auf Lotty, weil sie mich zu einem solchen Zeitpunkt zwang, diese Untersuchung über mich ergehen zu lassen. Es war ein ohnmächtiger Zorn, ähnlich dem, den Emily wahrscheinlich empfand, als sie den Plastikbecher quer durchs Zimmer geschleudert hatte.
Mein Gehirn hatte ob meines dringenden Wunsches zu verschwinden, aufgehört zu funktionieren. Ich wollte hier raus, bevor jemand anders sich an Emily heranmachen konnte. In den endlosen fünf Minuten, die ich hilflos dalag, versuchte ich, alle Figuren des Dramas Revue passieren zu lassen, die mir in den beiden letzten Wochen begegnet waren, von Phoebe Quirk bis zu Gary Charpentier. Als Ablenkung funktionierte die Übung, aber die Gesichter und Fakten wollten keine rechte Ordnung annehmen in meinem Gehirn.
Endlich hörte der Lärm auf. Die Pritsche, auf der ich lag, glitt aus der Röhre heraus. Ich setzte mich auf und schwang die Beine über die Kante der Liege. Als der Techniker, der das Gerät bedient hatte, mir ein Glas Wasser anbot und mich mit einem fröhlichen »War doch gar nicht so schlimm, oder?« begrüßte, hätte ich ihm am liebsten eine Ohrfeige gegeben, aber weil der Mann schließlich auch nichts dafür konnte, lächelte ich ihn lediglich grimmig an und kletterte von dem Untersuchungstisch herunter. »Warten Sie bitte noch ein paar Minuten, bis der Arzt sich die Aufnahmen angesehen hat und wir sicher sind, daß wir nichts mehr brauchen. Trinken Sie das Wasser, dann fühlen Sie sich besser. Gleich kommt jemand mit einem Rollstuhl und holt Sie ab.« Ich nahm das Glas Wasser und folgte ihm ins Vorzimmer. Meine Muskeln waren immer noch steif, aber eins war sicher:
Ich würde nicht hier rumhängen, bis der Radiologe sich die Aufnahme von meinem Gehirn
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