Engel im Schacht
seine Uhr. »Ach, die. Eine Erbschaft. Und ich habe einen Augenblick Selbstmitleid mit mir gehabt, weil ich nicht Mediziner geworden bin oder Investment-Banking gemacht habe wie so viele meiner alten Freunde. Wir haben ein paar Projekte am Laufen, die du dir gern anschauen kannst. Sprich das mit Tish ab; sie kann die Termine für dich arrangieren.« »Sind die Sachen im Bau?«
»Da läuft im Moment nicht viel. Aber laß mich jetzt bitte weiterarbeiten, Vic. Wir können uns ja mal auf einen Drink treffen, über die alten Zeiten klönen.«
Ich wollte ihn fragen, was er Century Bank schuldete, womit sie ihn veranlaßt hatten, Lamia das Sanierungsprojekt zu geben. Außerdem wollte ich ihn fragen, wie er die Ausschreibung der Projekte handhabte, weil Lamia den Job so plötzlich bekommen hatte. Aber beide Fragen hätten meine Verbindung mit der Gruppe offengelegt, und dafür hatte ich, abgesehen von meiner Verärgerung über Phoebe, keinerlei Grund. Also ließ ich mich von ihm wieder in den vorderen Teil des Gebäudes dirigieren. »Gary hat nicht sonderlich glücklich ausgesehen«, meinte ich, als er wieder in sein eigenes Büro zurückwollte. »Er ist doch wohl kein Investor, den ihr über den Tisch gezogen habt, oder?«
Wieder spielte ein Lächeln um Jaspers Mund. »Nein, natürlich nicht. Das ist einer unserer Bauunternehmer, der geborene Pessimist. Wenn du unbedingt alles über unsere Investitionen wissen willst, solltest du dir unsere Akten im State of Illinois Center ansehen. Es ist alles in Ordnung. War schön, dich nach all den Jahren wiederzusehen.«
Tish grinste süffisant, als sie sich meine Telefonnummer notierte, erfreut darüber, daß Jasper mich in meine Schranken gewiesen hatte. Sie sagte, sie würde mich anrufen, wenn sie ein Projekt hätten, das ich mir anschauen könnte. Irgendwie hatte ich das Gefühl, nie wieder etwas von ihr zu hören.
Auf dem Weg zurück zum Wagen sah ich ins Schaufenster des Kuriositätenladens. Sollte ich mir jemals etwas aus dem Laden aussuchen dürfen, würde ich die Lampe mit dem Fuß in Form eines Babys wählen, auf deren Schirm in unterschiedlichen Purpurtönen »O Mama« zu lesen war.
Rückkehr der Gastgeberin
Es war schon fast fünf, als ich wieder im Büro war. Ich hatte den Nachmittag zum Teil im State of Illinois Center und zum anderen Teil im City Hall and County Building verbracht, um Akten einzusehen. Da ich schon mal in Helmut Jahns gläserner Kuchenform war, ließ ich mir auch gleich die Akte von Home Free heraussuchen. Das Unternehmen machte größere Geschäfte, als aufgrund seines winzigen Büros zu vermuten war, aber da sehr vieles davon mit der Vergabe von Bauverträgen und Lobbyismus zu tun hatte, war das kein Wunder.
Zuwendungen und private Schenkungen hatten dem Unternehmen im vergangenen Jahr zu einem Einkommen von fast zehn Millionen Dollar verholfen. Ein Drittel davon war direkt in Neubauten geflossen, ein weiteres Drittel in die Weiterführung bestehender Projekte, der Rest in die Verwaltung, in ein Büro in Springfield und die Einrichtung eines Treuhandvermögens. Das sah alles sehr solide aus. Wenigstens mußten sich die Lamia-Frauen keine Sorgen wegen der Bezahlung machen. Home Free verdiente sich vermutlich eine goldene Nase mit seinen Baustellen. Ich war jetzt ziemlich neugierig darauf geworden.
Die Konten des Unternehmens wurden von Strong und Ardmore geprüft, einer ziemlich großen Chicagoer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Alec Gantner und Donald Blakely fungierten als Direktoren. Wieder keine große Überraschung. Zu Hause gab ich diese Informationen zusammen mit den Daten, die ich für andere Aufträge gesammelt hatte, in meinen Computer ein. Ich war so vertieft in meine Arbeit, daß ich vor Schreck fluchend hochsprang, als Deirdre Messenger neben meiner Schulter etwas zu mir sagte. Ich hatte nicht mal gehört, daß die Tür aufgegangen war. »Jetzt bist du also da, Vic. Ich hab' mich schon gefragt, wann du endlich auftauchen würdest. Ich wollte nicht mehr länger in dem Coffee-Shop unten in der Straße sitzen.« Ich starrte den Bildschirm an und wartete darauf, daß mein Herz wieder anfing zu schlagen. »Sind wir verabredet, Deirdre?«
»Ich habe mich am Montag mit dir darüber unterhalten, daß ich gern was für die Frau tun würde, die bei dir im Keller wohnt. Ich dachte, wir hätten für heute abend was ausgemacht. Oder hab' ich mich im Tag geirrt?« Ihr scherzhafter Tonfall wirkte noch gezwungener als sonst.
»Ich glaube, wir
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