Engel im Schacht
können wir später erledigen. Wir unterhalten uns kurz, und dann werden wir sehen, wie wir das Problem lösen können. Aber bleiben Sie lieber da. Es könnte ja sein, daß das eine Sache ist, in der Sie besser Bescheid wissen als ich.« Wieder lächelte er. »Ich bin erst seit drei Jahren bei Home Free. Davor, in den mageren Jahren, hat Tish Home Free am Leben gehalten.« Sonderlich üppig war dieses Lob nicht, aber die junge Frau errötete trotzdem vor Stolz. Sogar ihre runden Schultern strafften sich für einen Moment.
Das Hinterzimmer war dadurch entstanden, daß man einfach in der Mitte des Raumes eine Wand gezogen hatte, die solide und absolut schalldicht war. Das Zimmer hatte keine Fenster, weshalb ich das Gefühl hatte, eine Gruft zu betreten, wenn auch eine ziemlich moderne: Hier war die gesamte elektronische Ausrüstung von Home Free versammelt - ein Faxgerät, noch ein Computer und der neueste Hewlett-Packard-Drucker. Jasper dirigierte mich zu einem Klappstuhl vor dem Schreibtisch. Tish nahm auf einem alten Ohrensessel in der Ecke Platz. »Was für eine Detektivin bist du denn, Vic?«
Seine Stimme klang so herablassend, daß ich pampig wurde. »Eine gute und gründliche.«
Er lächelte amüsiert. »Das glaube ich dir gern. Aber ich möchte eigentlich eher wissen, welche guten, gründlichen Nachforschungen du im Zusammenhang mit mir anstellen möchtest.«
»Blakely und Deirdre meinten, ich solle mich mit dir in Verbindung setzen wegen einer obdachlosen Frau, die ich in meinem Bürohaus gefunden habe.« Jasper wandte sich an Tish. »Sie hätten Vic die Fahrt ersparen können. Hätten Sie ihr doch gesagt, daß wir nicht vermitteln.«
»Das hat sie«, versicherte ich ihm. »Das hat sie mir gleich als erstes gesagt. Aber ich habe gedacht, das sei der Auftrag von Home Free: Obdachlose unterzubringen.« »Wir bauen die Unterkünfte für sie«, erwiderte Jasper. »Deswegen halten wir uns auch zurück und gehen nicht an die Öffentlichkeit. Früher haben die Leute hier vor der Tür Schlange gestanden, um einen Platz zum Übernachten zu kriegen. Und außerdem arbeiten wir noch als Anwaltskanzlei - eigentlich ist das mein Hauptjob - in Springfield.«
»Und wo kriegt ihr das Geld für eure Häuser her?«
»Ach ja, ich hätte auch noch was von den Spenden sagen sollen - aber es liegt auf der Hand, daß das die Hauptaufgabe eines jeden gemeinnützigen Unternehmens ist.« »Und die meisten Spenden kommen woher...?«
»Von schuldbewußten Geschäftsleuten - Männern wie Frauen -, die lieber nicht so genau hinschauen, wenn sie abends, auf dem Heimweg nach Lake Forest oder Olympia Fields, einen Obdachlosen am Bahnhof sitzen sehen. Warum willst du das wissen?« Er warf einen Blick auf seine Uhr, um mir zu zeigen, wie wenig Zeit er hatte. Von meinem Platz aus konnte ich es nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, aber die Uhr sah mir nach massivem Gold aus - eine Rolex vielleicht oder eine Patek Philippe.
»Ich bin bloß neugierig. Ihr baut doch normalerweise neue Häuser, oder? Aber ihr saniert auch alte Häuser, stimmt's?«
Er lächelte, wenn auch nicht mehr ganz so herzlich. »Vielleicht hat man von der Schnüffelei genausowenig Abstand wie von der Organisiererei, wenn man erst mal drinsteckt - wahrscheinlich kann man einfach nicht aufhören, die Nase in Dinge zu stecken, die einen nichts angehen.«
»Möglicherweise.« Auch ich lächelte, um ihm zu zeigen, daß ich ihm wohlgesonnen war. »Anhand welcher Kriterien entscheidest du, ob du ein altes Gebäude hochpäppelst oder ein neues errichtest?«
»Wir kalkulieren die Baukosten, den Wert des Grundes und die Bausubstanz des betreffenden Gebäudes - das und noch einige andere Sachen.« »Und dann schreibst du das Projekt aus?«
Jasper beugte sich über den Schreibtisch. »Vic. Warum bist du wirklich hier? Ich habe heute morgen nicht sonderlich viel Zeit.«
»Ich bin gekommen, weil ich sehen wollte, wie deine Arbeit wirklich ausschaut.«
Er lehnte sich wieder auf seinem Stuhl zurück. »Du leistest also gute, gründliche Arbeit.«
Ich lachte. »Könnte ich mir mal eins deiner Sanierungsprojekte anschauen?« Jasper hob die Augenbrauen. »Du klingst ja wie eine potentielle Investorin, Vic. Obwohl du nicht so aussiehst.«
»Laß dich nicht von Äußerlichkeiten täuschen. Wenn ich nur nach deiner Uhr gehen würde, würde ich sagen, daß du eigentlich nicht nur Seniorpartner einer Anwaltskanzlei mit geringem Budget sein kannst.«
Er warf einen Blick auf
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